Gottesdienst: Ansprache zum Kirchenasyl

Traveler Digital CameraAm 5. September fand im Kapuzinerkloster in Münster ein ökumenischer Gottesdienst zum Kirchenasyl statt. Die dramatischen und auch hoffnungsvollen Ereignisse der letzten Wochen fanden in diesem Gottesdienst nochmal einen eigenständigen Ausdruck.

Die Ansprache von Pfarrerin Alexandra Hippchen, Mitglied im Netzwerk Kirchenasyl Münster, kann hier nachgelesen werden.

Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Freundinnen und Freunde!

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der war, der ist und der kommt AMEN

Heute ist ein Tag, an dem wir danken können und auch wollen: danken dafür, dass die Kapuzinerbrüder treu zu ihrem Auftrag der Nächstenliebe stehen und ihn haben praktisch werden lassen;
Danken den Unterstützerinnen und Unterstützern von Issa, die auch dann nicht aufgehört haben zu kämpfen, als alles aussichtslos schien;
Danken Issa, der es ausgehalten hat, bedroht und verlassen zu werden; auszuharren in einer überaus schwierigen Situation: dem Kirchenasyl und der nicht aufgehört hat, ein gutes Morgen zu erträumen;
danken Gott, der uns stärkt und zusammenhält für den gerechten Kampf; für den er sich bekannt gemacht hat bei den israelitischen Sklaven in der ägyptischen Gefangenschaft, durch Jesus Christus, der selbst vor dem Kreuz nicht zurückgeschreckt ist, damit Frauen und Männer in der Geschichte seinen Weg der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe bezeugen.

Wir danken nicht allein, wir denken auch daran, was geschehen ist.

Der 23. August war ein Tag des großen Erschreckens, der Empörung und des Zorns, aber auch einer der übergroßen Freude.
Issa A. war von den Brüdern des Kapuzinerklosters ins Kirchenasyl aufgenommen worden, weil sie erkannt hatten, dass Issa Schutz braucht. Denn Issa sollte nach Ungarn abgeschoben werden. Und es ist allgemein bekannt, dass Ungarn kein guter Ort für Flüchtlinge ist, noch weniger für schwarze Flüchtlinge.

Sie waren gefragt worden von den Engagierten der Kirchenasylarbeit und sie hatten zugestimmt: Wir gewähren Schutz! Das ist unsere ur-christlichste Aufgabe.
Der Mensch ist Gottes Kind. Wir alle sind Kinder Gottes. Und unsere erste Aufgabe vor allen anderen ist es, den Anderen, den Nächsten zu schützen, wenn er/sie Hilfe braucht.

Wir alle hier kennen die Geschichte. Morgens um 8.00 Uhr wurde Issa A. von Polizei und Ausländerbehörde Coesfeld, eskortiert von einem Arzt, der die Reisefähigkeit von Issa A. bestätigte, abgeführt und nach Büren gebracht, um ihn nach Ungarn „zurückzuschieben“.
Es muss entsetzlich für Issa A. gewesen sein; nach so viel Hoffnung, nach so viel Mühe, nach so viel Disziplin in der Gefangenschaft des Kirchenasyls: jetzt dieses Ende! Schockiert! Im wahrsten Sinne des Wortes!
Schockiert waren die UnterstützerInnen, die Kirchenleitenden nicht minder. Was macht ihr von der Kommune da mit unseren Vereinbarungen? Was sollen wir Euch noch glauben, wie dem Staat trauen, wenn hier so rigoros, kaltschnäuzig und ohne Skrupel Absprachen zum Guten der Flüchtlinge ebenso wie der gesamten Gesellschaft gebrochen werden?

Ja und dann die freudige Botschaft: Das Verwaltungsgericht hat die Abschiebung gestoppt. Inzwischen weiß Issa A., wissen wir, dass er hier bleiben kann, sein Verfahren hier abwarten kann, hier endlich die Ausbildung beginnen, ein neues Leben beginnen kann.
Hoffnung für ihn, für uns, und für viele, die in ähnlich schlimmer Situation sind.

Im Buch des Propheten Jesaja gibt es eine Geschichte, die sehr pointiert deutlich macht, worauf unsere Hoffnungen beruhen. Darum lese ich diese Geschichte jetzt vor: (Jes. 45,18-20)
Denn so spricht Gott, der Schöpfer des Himmels: Er ist Gott!
Der die Erde gemacht hat: er hat sie gegründet: Nicht für den Irrsinn (tohu) hat er sie geformt, sondern um sie zu bewohnen!
Ich bin Gott und keiner mehr! Nicht an einem verborgenen Ort habe ich gesprochen zum Samen Jaakovs: Umsonst sucht ihr mich!
Ich bin Gott, der Recht spricht und Geradheit kundtut!“

Nicht für den Irrsinn hat Gott diese Erde geschaffen! Auch wenn das immer wieder genau so scheint; und die Herrschenden, seit es sie gibt, darauf beharren, dass es nun einmal so wäre mit der Welt; die Aufgabe der Schwachen, der Leid Tragenden, sich damit abzufinden und ihr Dasein entsprechend zu fristen.
Dabei sind sie es selber, die den Irrsinn verursachen und manifestieren.

Nicht für den Irrsinn hat er sie geschaffen! Und Gott setzt noch eins drauf: es ist auch nicht so, dass man nicht verstehen könnte, was ich meine. Ich verstecke mich keinesfalls an einem verborgenen Ort und lasse mich nicht finden! Das sind Behauptungen derjenigen, die vom Status quo profitieren.“ „Eine andere Welt ist möglich“, sagt Gott! „Meine Welt ist möglich!“, spricht der, der sie in Gerechtigkeit, in Frieden und Liebe geschaffen hat.

Irrsinnig ist es, Menschen in Not zurück zu stoßen und die Gemeinschaft mit ihnen zu verweigern. Irrsinnig ist es, Gesetze zu konstruieren, die es unmöglich machen, dieses reiche Land zum Fluchtort für die Verfolgten, die Habenichtse, die Verängstigten, die zum Tode Gekränkten zu machen. Irrsinnig ist es, eine homogene Bevölkerung zu behaupten, die Schaden nähme, wenn neue Menschen dazu kommen.

Irrsinn ist es in den Augen Gottes, nicht freundlich zu sein, die Solidarität zu verweigern, nicht an guten Lösungen für ein gutes Zusammenleben zu arbeiten. Stattdessen die Angst, die Herzensenge, den Verlust des Übermaßes an Reichtum als Grund dafür zu nehmen, dass die Türen geschlossen bleiben, dass Menschen beleidigt werden, dass Bedrohte nicht in Schutz genommen werden.

Nicht für den Irrsinn, sondern um sie zu bewohnen, hat Gott die Welt geschaffen.
Wie machen wir diese Welt bewohnbar? Das ist die Frage, die uns zu den Aufgaben unseres Lebens führt.

Der Prophet Jesaja bringt hier die Schöpfung ins Spiel. Gottes gute Schöpfung ist in dieser Welt arg ramponiert. Gott, der die Erde geschaffen hat und die Himmel mit Sonne, Mond und Sternen darüber – damit klar ist: das sind keine Götter, vor denen wir uns beugen sollen!-, Gott steht für eine andere Weltordnung, und die heißt: Bewohnbarkeit der Erde!

Bewohnbarkeit der Erde heißt nicht überleben, herum vegetieren, sich im Überlebensmodus befinden, der keine Solidarität und keine Planung für die Zukunft kennt.
Bewohnbarkeit der Erde heißt: Leben in Gerechtigkeit und Frieden, in Solidarität mit dem Nächsten. Denn Gott hat uns als Gegenüber geschaffen, zu seinem Bilde, gleich und frei. Darum ist die Bewohnbarkeit der Erde abhängig davon, dass Menschen, egal woher und wie, gleich und frei darauf leben können.
Ob unsere Erde bewohnbar ist, entscheidet sich genau daran, wie Menschen leben können, die bedroht sind. Schenken wir ihnen Schutz, Gehör und Solidarität, oder werden sie erneut beleidigt und bedroht?

Dass die Erde bewohnbar sein soll, ist ein Statement, das wir ununterbrochen postulieren müssen. Wir kennen die Entwicklungen, wenn das Postulat aufgegeben wird. Gerade gestern wurde es wieder deutlich bei der Wahl in Meck-Pom. Die Phrase: „Sorgen der Menschen ernst nehmen“ in Bezug auf die Begrenzung von Flüchtlingszahlen ist infam! Welche behaupteten Sorgen stehen da gegen tatsächliche Nöte? Die Frage hätte nie verkommen dürfen zum OB. Sie hätte immer konstruktiv beim WIE bleiben müssen. Wie können wir eine Gesellschaft aufbauen, die offen genug ist, Neue und Neues in sich aufzunehmen und sich entsprechend zu verändern. Wie können Menschen möglichst schnell teilnehmen und teilhaben am gesellschaftlichen Prozess?

Nicht für den Irrsinn, sondern um sie zu bewohnen, habe ich diese Welt geschaffen!

Gott gibt uns die Bewohnbarkeit der Erde auf; einer Erde von Freien und Gleichen.
Darum können wir heute feiern, dass wir einen Irrsinn gestoppt haben; dass wir gezeigt haben, wie die Erde bewohnbar wird.

AMEN

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus AMEN