Wer muss eigentlich abschwören? – Dimitris Koufontinas, der Staat und die Gnadenlosigkeit

Dr. Michael Ramminger

Seit über fünfzig Tagen befindet sich der 63jährige Dimitris Koufontinas in einem Hungerstreik zur Verbesserung seiner Haftbedingungen. Gegen seinen seinen Willen haben ihn die Ärzte nach einem multiplen Organversagen am 5. März am Leben gehalten.

Wer ist Dimitris Koufontinas?

Dimitris Koufontinas war Mitglied der Bewegung 17. November, die im Zusammenhang der griechischen Militärdiktatur 1975 gegründet wurde. Sie soll u.a. den CIA-Chef für Südosteuropa ermordet und mehrere Anschläge gegen US-Vertreter und griechische Politiker und Journalisten verübt haben. Im Jahr 2002 hatte sich Dimitri Koufontinas der griechischen Justiz gestellt und politische Verantwortung für die Handlungen der Gruppe übernommen. So, wie viele andere politische Gefangene aber hat er immer Aussagen, die MitgenossInnen belastet hätten, verweigert und auch seiner politischen Einstellung nie abgeschworen.

Dimitris Koufontinas ist zu mehrfach lebenslänglicher Haft verurteilt worden, ab 2017 wurden ihm Hafterleichterungen gewährt, die er aber eigentlich schon Jahre vorher hätte bekommen müssen. Mit seinem Hungerstreik protestiert er gegen die Verlegung vom Korydallos-Gefängnis westlich von Athen in ein Hochsicherheitsgefängnis, die damit verbundenen Haftverschlechterungen und die Aufhebung der Besuchserlaubnis seines Sohnes.

Der gegenwärtige Präsident der regierenden Partei „neue Demokratie“ hatte laut dieser Presseerklärung schon vor seiner Wahl erklärt, die Haftbedingungen verschärfen zu wollen, und dafür nach der Regierungsübernahme ein Gesetz beschlossen.

Keine Gnade ohne Reue ?

Es geht im Umgang mit Dimitris Koufontinas um das Verlangen staatlicher Gewalt, den Gefangenen Reue, öffentliches Abschwören von ihren politischen Einstellungen und Geständnisse zu abzuzwingen. Dafür werden sie, die sich durch Gefängnis und unmenschliche Haftbedingungen nicht brechen lassen wollen, der Unerbittlichkeit des Staates ausgeliefert. Der Staat ist gnadenlos, das ist für viele vielleicht nichts Neues. Aber es muss doch wieder gesagt werden: Wer Gnade an Bedingungen knüpft, ist nämlich gerade eines: gnadenlos. Man konnte diese Gnadenlosigkeit auch schon in der Auseinandersetzung mit den Gefangenen der RAF und der Bewegung 2. Juni feststellen: Von Christian Klar z.B., dessen Gnadenersuche abgelehnt wurden, schrieb die „Welt“, als er auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz zu seinen politischen Überzeugungen stand: „Christian Klar redet sich um Kopf und Kragen.“ Und Peter Ramsauer von der CSU kommentierte damals, Klar habe mit seiner Grußadresse an die Rosa-Luxemburg-Konferenz zum Umsturz der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufgerufen: „Wenn hier eine Begnadigung erfolgen würde, wäre das ein wirklich fataler Schlag gegen das Rechtsbewusstsein der überwältigenden Mehrheit parteiübergreifend in der Bevölkerung.“ Noch deutlicher sagte Guido Westerwelle: „Wer Gnade vor Recht erbittet, aber unsere Grundordnung nicht anerkennt, hat keine Gnade verdient.“

Diese Gesellschaft, vor allem ihre Herrschenden sind offenkundig nicht zur Gnade fähig, vielleicht sogar zur Gnadenlosigkeit verdammt. Denn – noch einmal – Gnade ist nämlich durch ihre Bedingungslosigkeit bestimmt.

Es gibt kein Recht auf Unterwerfung …

Das mag für viele eine bittere Einsicht sein, für andere bestätigt sich das, was in einer Presseerklärung ehemaliger Gefangener der RAF und der Bewegung 2. Juni zu diesem Fall gesagt wurde: „Es gibt kein Recht auf Unterwerfung der Gesellschaft durch eine reiche Minderheit, die an nichts anderes als an die Erweiterung ihres Reichtums und ihrer Macht denkt.“ Und weiter zum Fall von Dimitris Koufontinas schreiben sie: Zu dem niederträchtigen Verhalten ihm gegenüber „gehören das ebenso niederträchtige Vorgehen gegen Flüchtlinge in Griechenland, gegen Arme und alte Menschen oder jene, die das kapitalistische System einfach nicht mehr braucht.“
Der 1967 regierende Bürgermeister Pfarrer Heinrich Albertz von Berlin hatte eine Ahnung von der Gnadenlosigkeit der Verhältnisse, und ihre Unmenschlichkeit ist ihm bewusst geworden: Noch in der Nacht der Ermordung Benno Ohnesorgs hatte er die Polizeigewalt verteidigt und die Protestierenden beschimpft. In seiner letzten Rede als regierender Bürgermeister sagte er dann, dass er am schwächsten gewesen sei, als er am härtesten war – in der Nacht des 2. Juni 1967. Vermutlich war ihm der Zusammenhang von Gnadenlosigkeit und Unmenschlichkeit klar geworden.
Nochmal: Christlich gesprochen ist Gnade nicht an Bedingungen geknüpft, schon gar nicht an die Unterwerfung unter diejenigen, die die Macht haben. Und jenseits dieser Frage von Gnade ist es im übrigen eine Frage der Menschlichkeit, Dimitris Koufontinas und allen anderen Gefangenen würdige Bedingungen auch im Knast zu garantieren, nicht aber, an ihnen Exempel zu statuieren und sie zu brechen zu versuchen. Gebt Dimitris Koufontinas solche Bedingungen, aber versucht nicht, ihn noch durch die Zwangsernährung zu brechen und zu unterwerfen! Das wäre das mindeste …

Verweise:

https://enough-is-enough14.org/2021/03/05/koufontinas-gegen-seinen-willen-wiederbelebt/

Presseerklärung vom 08.03.2021 von ehmaligen Gefangenen aus der RAF und der Bewegung 2. Juni zum Hungerstreik des griechischen Gefangenen Dimitris Koufantinas.