Fastenimpuls III

Fastenzeit 3

In diesem dritten Impuls zur Fastenzeit macht Kuno Füssel anhand der Methode der materialistischen Bibellektüre eine Auslegung von Mk 9,1-10: Die Gegenwart der Zukunft des Menschensohnes Jesus-Messias.
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Die Gegenwart der Zukunft des Menschensohnes Jesus-Messias

A) Wenn man die strukturalistische Methode der Textbearbeitung anwendet, wie wir sie seit über 40 Jahren bei CfS, Betriebsseelsorge, KAB und mit vielen anderen Gruppierungen praktizieren, dann lässt sich ein erstaunliches Ergebnis ermitteln:

Der Text Mk 9,1-9 ist genau die Mitte des Markusevangeliums, wenn wir uns an den Weg Jesu und seiner Jüngerschaft, der ausgeht von Galiläa (Mk 1,16) und gemäß der Botschaft des Engels (Mk 16,8) wieder nach Galiläa zurückführt, als das entscheidende Strukturmerkmal halten. Der Berg der Verwandlung liegt genau in der Mitte. Dabei nehmen wir den Vers 1, im Unterschied zum Lektionar, mit dazu, zählen aber Vers 10 als einen an die Szene anknüpfenden und ihre fundamentale Aussage kommentierenden Vers des Erzählers zum nachfolgenden Gespräch mit Jesus über Elija. Die Aussagen von Vers 1: “Die ihr hier steht, ihr werdet den Tod nicht schmecken..“ und von Vers 9b: „Wenn der Menschensohn von den Toten auferstanden ist…“ bilden dabei die thematische Rahmung der Szene auf dem Berg der Verwandlung, nicht Verklärung, denn im Text steht die Vokabel „Metamorphose“ Relativ hilflos wirkt der Hinweis im „Stuttgarter NT“ (S.89), dass Markus hier ein Trostwort für die über die vorangegangene Leidensankündigung ( vgl. 8.31-33) schockierten Jünger eingefügt habe. Wahrscheinlich wird Vers 1 deshalb auch beim Sonntagsevangelium weggelassen. Das hier Gesagte kann man aber alles nur erkennen, wenn man den Text nicht isoliert als Perikope, also herausgeschnitten aus dem Textganzen, vorliest, wie das im Gottesdienst geschieht, sondern als Teil des Ganzen sieht und behandelt. 

B) Aber auch dieser kurze Text hat wieder eine Mitte, nämlich den ersten Teil der Aussage des Petrus in Vers 5a, wo er Jesus anspricht: „Schön ist es, dass wir hier sind.“ Übrigens, da steht kalon = schön, was auch gut bedeutet, aber eher im Sinne unserer zustimmenden Redewendung: Schön und gut. Gemeint ist immer in der Bibel die Harmonie der Gottesordnung. Wir haben hier also keine aus der Verlegenheit geborene Allerweltsaussage, die zu einem Ausflug in die Berge passt, sondern ein Rückbezug auf die Tradition Israels. In den Sinn kommt den Schriftkundigen in der Gemeinde wahrscheinlich Sach 4,7. Dort heißt es: „Er holt den Schlußstein hervor und jubeln wird man: <Wie schön ist er, wie schön>:. Wir lesen dann diese Stelle auch im Sinne von Eph 2,20: „Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut. Der Schlußstein ist Messias Jesus selbst“. Noch deutlicher greift der Vorschlag, den Petrus, überwältigt durch den Augenblick , macht, auf die Geschichte des Volkes Gottes zurück: Drei Zelte oder Hütten (skene) will er bauen. Der Text bezieht sich damit natürlich auf die Stiftshütte und das Bundeszelt (vgl.Ex 27; 28 u.ö.), vor allem aber auf Sach 14,16ff., die Textgrundlage für das jüdische Laubhüttenfest Sukkot..Es ist das Fest, das einerseits das Exil, das Leben in der „Verschleppung“ betont andererseits aber auch das zerstörte Jerusalem wieder zur „Stadt der Treue Gottes“ (Sach 8,3) werden lässt, zu der in der messianischen Endzeit alle Völker hinaufziehen werden. Zu Vers 3 der Szene der Verwandlung passt auch der Kontext des Buches Sacharja, wo der Hohepriester Jeschua (man höre genau hin!) von ihm dienenden Engeln in festliche Gewänder gekleidet wird (vgl. dort Kap. 3). Petrus wußte nicht, was er sagen sollte und gerade deswegen hat er das Richtige gesagt.

Überdeutlich aber ist die Einbettung unserer Szene in die Geschichte und den Glauben Israels als Ganzem. Für deren entscheidende Charakterzüge stehen hier drei Personen: Mose für die Thora, Elija für das Prophetentum und Jesus für das Messianische. Kompletter geht es nicht, wenn man das Ganze vor Augen geführt bekommen soll. Was haben die drei wohl miteinander geredet ? Kluge Spekulationen sind erlaubt. Lukas wollte dem wohl vorbeugen und machte in Lk 9,31 die Angabe : Mose und Elija erschienen in einem Lichtglanz und „redeten ihm vom Exodus“, was man in der EÜ sehr verkürzt, mit „seinem Ende“ übersetzt.

C) Gehen wir im folgenden noch auf einzelne wichtige Elemente unseres Textes ein, wobei ich den methodischen Schritt der Code-Analyse meine, die ein wesentlicher Bestandteil der materialistischen Bibellektüre ist. Verstehen wir unter Codes der Einfachheit halber „Bedeutungsfäden“ entlang derer im Gewebe des Textes die einzelnen Elemente ein- und aufgereiht sind.

a) der topografische Code mit Übergang zum mythologischen Code (Berg; Himmel und Erde)

b) der chronologische Code (das Sechs-tage Scema; Schöpfung und shabbat)

c) der aktionelle Code (ein in 7 Schritten verlaufender Prozess)

d) der phatische Code in Verschränkung mit dem onomastischen Code (d.h. es geht um Kommunikation und Namen: Wer redet mit wem über was und wie?Was sagt uns das Spiel der Namen?)

[Eine ausführliche Code-Analyse wird von uns vorgenommen in: Kuno Füssel u.Eva Füssel, Der verschwundene Körper. Neuzugänge zum Markusevangelium, Luzern 2001, S.112-117; man vgl auch das ganze Kap.III zu Komposition und Strategie des MK-EV, ebd. S. 86-170).]

Ein weiteres Merkmal unserer Methode ist das Aufspüren von Oppositionen im Text.

Ich nenne nur, unter Einbeziehung des weiteren Kontextes, die Auffallendsten:

a) Aufstieg und Abstieg

b) die J-Bewegung und drei ausgewählte Zeugen

c) Mose, Elija und Jesus, dann aber Jesus allein

d) der Berg der Verwandlung und die „Mühen der Ebene“ (erinnert sei damit auch an Ernesto Cardenal)

e) die Verherrlichung und die Erniedrigung

f) festhalten wollen und loslassen müssen

g) die Vision und die augenscheinliche Realität

h) das Offenbare und das Verdeckte in Geschichte und Gegenwart.

Dies alles sind keine abstrakten Oppositionen, sondern es wird eine dialektische Spannung erzeugt, aus der heraus eine neue Wirklichkeit entspringen soll und kann: Hier und Jetzt!

D) Kehren wir noch einmal zu unserer Eingangsbehauptung, die zunächst sehr formal wirkt, zurück und verweisen darauf, dass auch inhaltlich hier die Mitte des Evangeliums des Markus liegt. Das Ziel des ganzen Evangeliums ist es doch, der Gemeinde noch einmal deutlich zu machen, dass Jesus der Messias ist, wie dem entsprechend seine Praxis und seine Lehre aussahen, wie sein Weg verlief und wohin er mit Tod und Auferstehung führte. Es galt immer wieder neu zu begreifen, was im Zentrum des Evangeliums von Jesus Messias, dem Sohne Gottes steht: Es geht um nicht weniger als die Vollendung der Schöpfung und der Geschichte im Reiche Gottes durch den Messias. Im Zentrum dieser Vollendung steht wiederum die Auferstehung. Aber um zu verstehen, was das heißt „von den Toten auferstehen“, dazu bedarf es mehr als einer stichhaltigen theologischen Erklärung. Dazu bedarf es der Erfahrung der gelebten Nachfolge, es bedarf des Mitgehens und Eingehens in diese Geschichte des Messias, die dann zu einer unendlichen Geschichte werden kann. Nach dem Abstieg vom Berg war es auch für die Jünger noch zu früh, die endgültige Antwort zu finden, die Vermittlung von Vision und konkreten Realitäten zu leisten. Der Weg mußte weitergegangen werden. Doch in der Mitte des Weges wurde angehalten und die Stimme, die schon den Anfang bestimmte, bekräftigt noch einmal, dass wir seinen geliebten Sohn im doppelten Sinne des Wortes „vor uns haben“. Komme was da mag, Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, wie wir zu beten gewohnt sind.. Hier stehen auch wir, hier ist das Zentrum auch unserer Geschichte, der Kern unseres Glaubens, die Zusage der Vollendung.