Seligsprechung des 1977 von Großgrundbesitzern ermordeten salvadorenischen Priesters Rutilio Grande

Rutilio Grande (1928-1977) – Kronzeuge für „die Kirche der Armen“

Rutilio Grande (1928-1977)

Endlich wird diesem Propheten der Kirche in El Salvador die kirchenamtliche Anerkennung nicht mehr verweigert. Endlich wird sein Lebenswerk anerkannt. Endlich wird ein für allemal Schluss gemacht mit dem über Jahrzehnte währenden Verleumden, Diffamieren und Totschweigen. Die Heiligsprechung durch die kleinen Leute hat sich schlussendlich durchgesetzt. Heute, am Samstag, den 22. Januar 2022, wird Rutilio Grande zusammen mit den beiden an seiner Seite ermordeten Mitarbeitern als beispielhafter Christ öffentlich anerkannt.

Es war im Februar 1977. Damals konfrontiert mit einer menschenverachtenden, daher gotteslästerlichen Gesellschaft: Kaffeebarone, die sich mit mildtätigen Spenden für Arme brüsten, die ihre Arbeiter aber selbst zu Hungerlöhnen beschäftigen; Militärs, die sich das Land unter den Nagel reißen, das sie eigentlich an Landarbeiter verteilen sollen. Todesschwadrone, die jene ermorden, die den Mund aufmachen.

Rutilio Grande ist durch seine innovative Pastoral mit Basisgemeinden in der Pfarrei Aguilares, eine bekannte Persönlichkeit. Zudem wirkt er in den Ausbildungszentren der Erzdiözese San Salvador für die delegados de la palabra (den Verantwortlichen für die Baisgemeinden) mit. In diesen Zentren vermittelt man nicht nur Grundlagenkenntnisse für die Bibellektüre in den Pfarreien und Basisgemeinden, sondern führt auch in eine basisorientierte Form der politisch-kulturellen Gemeinwesenarbeit (concientización) ein. Rutilio Grande gehört zu den der entscheidenden Promotoren dieser Art der Pastoralarbeit. Auch als Pfarrer in der Landgemeinde Aguilares im Norden San Salvadors redet er mit der Gemeinde nicht über die Sterne, sondern von den realen und konkreten Problemen, unter denen die Leute leiden:

„In unserem Land ist es praktisch illegal, ein echter Christ zu sein. Das ist so, weil die Welt, die uns umgibt, auf einer grundsätzlichen Unordnung aufgebaut ist. In dieser Gesellschaft das Evangelium zu verkündigen, ist bereits eine subversive Tat. … Wenn Jesus von Nazaret zurückkehrte und – wie in jener Zeit von Galiläa nach Judäa – heute hinunterzöge von Chalatenango nach San Salvador, dann käme er nicht weit. Er würde festgenommen und in den Kerker geworfen. Ohne Zweifel würden sie ihn wieder ans Kreuz schlagen.“  [1]

Vier Wochen nach dieser Predigt, am Samstag, dem 12. März 1977, wird Rutilio Grande, zusammen mit seinem Küster und einem halbwüchsigen Jungen bei einer Fahrt in die comunidad El Paisnal ermordet. Die Organisation der Großgrundbesitzer übernimmt die Verantwortung für die Bluttat. Rutilio Grande wird zur Symbolfigur für die Hinwendung der Kirche zu den Armen.

Der eben eingeführte Ortsbischof, namens Oscar Arnulfo Romero, konfrontiert sich mit den Leichen seiner Mitarbeiter. Erschüttert bemerkt Romero: Wenn Rutilio wie Jesus starb, wenn er sein Engagement für die Armen durch die Hingabe seines Lebens beglaubigt, dann wirft dieses Sterben ein Licht auf das Leben: Auch in seinem Leben und Handeln war Rutilio Jesus ähnlich. Er lebte die Nachfolge Jesu.
Diese Erschütterung prägt den Stil des neuen Erzbischofs:

„Rutilio hat mir die Augen geöffnet für die Wirklichkeit.“ [2]

Romero kommt zu der Überzeugung, dass er solange nicht mehr an einer öffentlichen Feier der Regierung teilnehmen werde, bis die Morde aufgeklärt seien und die Unterdrückung ein Ende fände.

Zusammen mit dem Priesterrat, beschließt er, dass am 20. März 1977 alle Sonntagsmessen in ganz San Salvador ausfallen sollten, damit alle Gemeinden eine einzige Gedenk-Messe in der Kathedrale mit ihm feiern könnten. Die Regierung fürchtet einen riesigen Volksauflauf. Die Katholiken aus den Vierteln der Reichen beklagen sich scheinheilig, durch eine solche Verordnung bringe man sie um die Möglichkeit, ihre Sonntagspflicht zu erfüllen. Und schließlich kommt es zu einem heftigen Zusammenstoß mit der kirchlichen Institution, unter der Romero dann drei Jahre lang leiden sollte. Weil die Empörung so groß ist, entscheidet Romero sich, dem Nuntius persönlich die Nachricht zu überbringen, und bittet einige Priester, ihn dabei zu begleiten. Der Nuntius ist nicht anwesend. Der Sekretär empfängt den Bischof und kritisiert ihn mit der Bemerkung, er habe bei der Entscheidung für die einzige Messe der Diözese das Wichtigste vergessen. Und was ist das Wichtigste? „Sie haben den kirchenrechtlichen Gesichtspunkt vergessen“. Menschen werden umgebracht, Menschen verschwinden, werden in Angst und Schrecken versetzt. Für den Sekretär des Nuntius aber ist das Kirchenrecht das Wichtigste. Die Diskussion zwischen der Gruppe um Romero und dem Sekretär geht hin und her. Am Ende sagt Romero in ruhigem Ton: „Unser Land durchlebt im Moment eine außergewöhnliche Situation. Und so muss die Kirche, will sie ihrer Pflicht zur Evangelisierung und zur Anklage nachkommen, auch außergewöhnliche Zeichen setzen. Ich bin der Verantwortliche der Erzdiözese. Und die einzige Messe wird durchgeführt.“  Punktum. Draußen vor der Tür kommentiert Romero noch: „Sie verstehen nicht“, und damit meint er die Leute der Nuntiatur.

Am 20. März wird die Messe gefeiert.

Am Grab von Rutilio Grande (2010)

Auf dem Platz vor der Kathedrale sind Zehntausende von Menschen anwesend. Sie beten und singen, kommunizieren und erhalten neuen Mut in ihrem Glauben und in ihrer Hoffnung. Mit dieser Messe beginnt für Romero ein langer Kreuzweg des Nicht-Verstandenwerdens und der Ablehnung von seiten der Hierarchie.

„Die Feier dieser einzigen Messe in der Kathedrale soll wie eine Fackel die christlichen Gemeinden erhellen.“ Dieses Licht vertreibt die Sünde. Die Sünde ist vor allem „Verbrechen, Gewalttätigkeit, Mord, Ungerechtigkeit – das heißt Abwesenheit Gottes“. Solcher Abwesenheit Gottes darf die Messe nicht dienen. Sie darf nicht missbraucht werden,

„als ob Gott der Diener einer Familie oder einer sozialen Schicht und ihrer egoistischen Interessen wäre: Die Messe darf nicht dazu missbraucht werden, dem Götzendienst von Geld und Macht zu huldigen, sündhafte Situationen zu entschuldigen oder der Öffentlichkeit vorzugaukeln, es gebe keinen Streit mit der Kirche.“ (Romero, Predigt vom 30. Juni 1979. In: Romero – Su pensamiento, Arzobispado San Salvador, Bd. VII, S. 33.)

Und: „Eine Kirche, die sich nicht die Sache der Armen zu eigen macht, um von den Armen aus das Unrecht zu denunzieren, das man an den Armen begeht, ist nicht die wahre Kirche Jesu Christi.“ (Romero, Predigt vom 17. Febr. 1980, ebd. Bd. VIII, S. 229)

Romero hatte die Lektion von Rutilio Grande und der Gemeinde in Aguilares gelernt. Drei Jahre später, am 24. März 1980, wird er das gleiche Schicksal erleiden wie Rutilio Grande und seine Mitarbeiter, aber diesmal als Opfer eines Komplotts zwischen vatikanischen Kardinälen und salvadorianischen Militärs.

[1]             L. Kaufmann, Oscar Romero oder die Bekehrung zu den Armen. In: Ders., Damit wir morgen Christ sein können. Vorläufer im Glauben. Herder Verlag 1984, S. 121.

[2]             ebenda S. 129.

Norbert Arntz, 21. Januar 2022