Erklärung zu Jon Sobrino der TheologInnenvereinigung „Johannes XXIII.

Vereinigung von Theologen und Theologinnen
„Johannes XXIII.“ (Madrid)

Kommunique zur „notificatio“ der Glaubenskongregation über Jon Sobrino

Nach Kenntnisnahme und Analyse der notificatio, welche die vatikanische Glaubenskongregation über die Bücher von Jon Sobrino Jesucristo Liberador. Lectura histórico-teológica de Jesús de Nazaret (1991) y La fe en Jesucristo. Ensayo desde las víctimas (1999) veröffentlicht hat, legt die Vereinigung von Theologen und Theologinnen „Johannes XXIII.“ (Madrid) folgende Reflexionen vor:

  1. Wir glauben, dass Sobrinos Arbeit über Jesus von Nazareth zu den wichtigsten und einflussreichsten Reflexionen in der christlichen Theologie des 20. Jahrhunderts gehört. Sie hat dazu beigetragen, die Gestalt Jesu in neuem Licht zu sehen und mit neuer Relevanz zu versehen; sie hat zugleich den Glauben vieler Christinnen und Christen erleuchtet sowie ihr Engagement an der Seite der Armen und Ausgeschlossenen inspiriert.

    1. Die Christologie Sobrinos hat in bester christlicher Tradition seit dem neuen Testament bis in unsere Tage vor allem dazu beigetragen, den mitmenschlichen und geschichtlichen Charakter Jesu von Nazareth wieder in Erinnerung zu bringen und zugleich seine göttliche Wesensart zu betonen. Diesen Tatbestand anerkennen hochqualifizierte Theologen, die das Werk des spanisch-salvadorianischen Theologen minutiös analysiert haben.
    1. Wir sprechen für einen gewichtigen Teil von TheologInnen und Glaubenden, wenn wir davon überzeugt sind, dass Jon Sobrino ein eindrucksvoller Glaubenszeuge für viele Menschen ist. Wir haben die erhebliche Befürchtung, dass sie alle die Disqualifizierung seines Werkes als Skandal empfinden. Jon Sobrino ist auch Zeuge für die tausenden und abertausenden Menschenopfer struktureller Gewalt in Lateinamerika, von denen viele mit Recht als Märtyrer bzw. Märtyrerinnen verehrt werden. Das Martyrium war in den letzten Jahren Inspirationsquelle und Thema für sein Theologietreiben geworden.
    1. Die Glaubenskongregation arbeitet in ihrer Analyse des christologischen Werkes von Sobrino unserem Eindruck nach mit Kategorien, die nicht in der Geschichte verwurzelt sind, und verkennt ein fundamentales Faktum des Neuen Testamentes, nämlich die befreiende Dimension von Leben, Botschaft und Praxis Jesu. Ebenso ignoriert sie, was historisch-kritische bzw. soziologische Methoden und Kulturanthropologie in den letzten Jahrzehnten zum Studium des Neuen Testamentes und der Gestalt Jesu beigetragen haben; zumindest berücksichtigt sie die entsprechenden Beiträge nicht. Die notificatio reißt einzelne Sätze der Bücher Sobrinos aus ihrem Zusammenhang und entstellt dadurch sein Denken.
    1. Die notificatio des Vatikans lässt theologische Prinzipien außer Acht, die das päpstliche Lehramt sich offiziell zu eigen gemacht hatte, wie z. B. das Prinzip „Kirche der Armen“, das Johannes XXIII. beim Aufruf zum II. Vatikanischen Konzil inspiriert hatte. Am Vorabend des Konzils sagte er: „Die Kirche bietet sich den unterentwickelten Ländern an als das, was sie ist und sein will: die Kirche aller, insbesondere aber die Kirche der Armen.
    1. Die Theologie der Befreiung, die – der Gründungschartader TheologInnen-Vereinigung „Johannes XXIII.“ entsprechend – für unsere eigene theologische Reflexion und Praxis von grundsätzlicher Bedeutung ist, wird durch die Disqualifizierung (des Werkes von Sobrino) drakonisch in Frage gestellt.
    1. Das von Geheimniskrämerei, mangelnder Dialogbereitschaft und autoritärem Verhalten bestimmte Prozedere des Vatikans in diesem und in ähnlichen anderen Fällen ist für einen stets größer werdenden Teil des christlichen Volkes unakzeptabeund für Staatsbürger, die sich mit demokratischen Werten identifizieren, skandalös. Wir halten es für dringlich, innerhalb der Kirche aber auch zwischen Kirche und Gesellschaft einem Dialog Raum zu geben, der es – unter Verzicht auf jeglichen Exklusivanspruch, die Wahrheit zu besitzen – möglich macht, in einem Klima des Respekts vor Meinungsvielfalt und vor legitimer Freiheit in Forschung und Meinungsäußerung aufeinander zu hören und uns gegenseitig zu bereichern.
    1. Positiv vermerken wir, dass die notificatio keine Sanktionen enthält. Sollten sie jedoch später noch erfolgen, sind sie unserer Überzeugung nach ungerecht und stehen im Widerspruch zum Evangelium.
    1. Jon Sobrino gegenüber wollen wir unsere aufrichtige, tiefempfundene Dankbarkeit zum Ausdruck bringen für all das, was sein theologisches Werk und sein Zeugnis, das dem von der Option für die Armen geprägten Evangelium entspricht, für uns bedeutet.
  1. In diesen schmerzlichen Momenten, die er zweifellos durchlebt, wollen wir unsere unerschütterliche Solidarität mit ihm persönlich und mit seinem Denken öffentlich machen und unsere Anerkennung für seinen beispielhaften Lebensstil zum Ausdruck bringen.

    Madrid 18. März 2007
    Der Vorstand

    Quelle: http://www.atrio.org. Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz/ Münster