Apokalypse, Angst und Anti-AKW-Bewegung

„Wir verfolgen mit unverändert großem Entsetzen die Ereignisse in Japan. Die Bilder, die uns seit Freitag erreichen, machen ein geradezu apokalyptisches Ausmaß der Zerstörung deutlich. Und Sie lassen uns verstummen. … Und deshalb bedeuten diese Ereignisse nicht allein für Japan eine unfassbare Katastrophe, sondern sie sind auch ein Einschnitt für die ganze Welt, für Europa und auch für Deutschland.“ Das waren die Worte der Bundeskanzlerin zur Verkündigung des dreimonatigen Moratoriums für die acht ältesten AKWs nach dem Super-Gau in Fukushima. Ich weiss nicht, ob Frau Merkel damit virtuos auf der demagogischen Klaviatur des vermeintlichen deutschen Gemüts spielte, indem sie das Wort von der Apokalypse nutzte und glaubte, damit die Ängste der Bevölkerung vor den Gefahren der Atomenergie wahltaktisch für sich vereinnahmen zu können: Angst, Ängstlichkeit, Betroffenheit sind die Charaktereigenschaften,die man der Anti-AKW-Bewegung gerne unterstellt. Und noch mehr: Egoismus, ja sogar Nationalchauvinismus, Instrumentalisierung des Elends in Japan, all das unterstellen die hartgesottenen Liberalen und Atomlobbyisten dieser Bewegung. Eine altbekannte Diffamierungsstrategie, die möglicherweise immer weniger verfängt, aber subkutan doch ihre Wirkung zeitigt. Der Diskurs von Angst und Gegenangst ist längst in Gang gesetzt, wenn zum Beispiel das Horrorszenario steigender Strompreise, dunkler Städte oder Deindustrialisierung und Niederlage im global-kapitalistischen Konkurrenzkampf an die Wand gemalt wird.

Als der katholische Theologe Jürgen Manemann der deutschen Politik eine Apokalypseblindheit attestierte, weil sie schon viel zu lange an der Atompolitik festhält, erntete er wütende Kommentare: So zum Beispiel in der Welt: „Aber Hysterie, Unprofessionalität und vor allem Gefühl- und Taktlosigkeit bis zum Zynismus: das war das ganz besondere Markenzeichen der deutschen Reaktion.“(Apokalypse jetzt! Wir Deutschen sollten uns schämen, Die Welt-online, 28. März 2011, Reinhard Zöllner)

Wer hat eigentlich Angst?

Hysterie, Massenpanik und Irrationalität: der große katastrophische Untergang. Das ist es, was man durch massenmedial vermittelte Phantasmagorien als Apokalyptik vermittelt bekommt: The day after tomorrow. Die große Katastrophe läutet das Ende der menschlichen Zivilisation ein. Ende der siebziger Jahre schrieb Enzensberger: „Die Apokalypse gehört zum ideologischen Handgepäck. Sie ist Aphrodisiakum. Sie ist ein Angsttraum … Unser siebenköpfiges Ungeheuer hört auf viele Namen. Polizeistaat, Paranoia, Terror, Wirtschaftskrise, Rüstungswahn, Umweltvernichtung; die vier Reiter sehen aus wie Westernhelden und verkaufen Zigaretten, und die Posaunen, die den Weltuntergang ankündigen, dienen einem Werbespot als Begleitmusik …“( H.M. Enzensberger, Zwei Randbemerkungen zum Weltuntergang, in: Kursbuch 52 (Mai 1978)

Das apokalyptische Denken, so wird uns suggeriert, kennt nur folgenden Weg: Angst und Defätismus: irrationale Schicksalsergebenheit, schreckensgeweitete Erwartung des big bang. Und es wird natürlich denen zugeschrieben, die jetzt angesichts von Fukushima nach dem sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie schreien, globale Folgen und unermessliches Leid prognostizieren: Untergangspropheten eben.

Und da tauchen sie dann wie aus dem Nichts auf. Die Weltenretter, die apokalyptischen Reiter in weißer Rüstung, die behaupten, mit uns die Angst zu teilen, aber jetzt mit Augenmaß der Katastrophe entgegentreten, behutsam und doch entschlossen. Ausstieg 2020, vielleicht 2018 oder doch 2040? Aber aussteigen.

Und doch ist es genau umgekehrt. Die Angst ist auf Seiten derer, die den sofortigen Ausstieg für unmöglich halten, die vor De-Industrialisierung und steigenden Strompreisen warnen und gleichzeitig Augenmaß und Realismus fordern. Die ein Horrorszenario in Gang setzen, um eigentlich von ihrer eigenen apokalyptischen Vision abzulenken, die nämlich darin besteht, dass die Welt nicht bleibt wie sie ist, dass ihre Profite schmelzen, ihr gesellschaftlicher und politischer Einfluss verloren geht, dass man Energiekonzerne zerschlagen wird, um dezentral und regenerativ Energie produzieren zu können. Sicher, der Kapitalismus in grünem Gewand ist ein kleines Trostpflaster, der Hoffnungsschimmer in ihren tränenden Gesichtern: Vielleicht geht es ja doch ohne die Abschaffung des Kapitalismus, ohne Vergesellschaftung nicht nur der Energiekonzerne, sondern auch ohne Vergesellschaftung der Diskussion um eine zukunftsfähige Welt? Selbst Guido Westerwelle steht die Angst ins Gesicht geschrieben, wenn er plötzlich die AKWs abgeschaltet lassen will, nicht um der Sicherheit willen, sondern um der 5 oder 16%, um des Parteivorsitzes willen.

Die Doppelsinnigkeit apokalyptischen Denkens

Hier sind wir ganz dicht an den jüdischen Ursprüngen apokalyptischen Denkens: In Kapitel vier des Danielbuches deutet Daniel einen Traum des Königs Nebukadnezar. Der sah einen fruchtbaren Baum unter dem „die Tiere des Feldes Schatten suchten, in dem die Vögel des Himmels nisteten und von dem sich alles Lebende ernährte“ (Dan 4, 9). Dieser Baum wurde gefällt. In der Deutung identifiziert Daniel den Baum mit dem König. Das Fällen bedeutet den Verlust des Königreiches und „Ausschluß aus dem Kreis der Menschen“ (Dan 4, 22). Das ist die apokalyptische Angst von Westerwelle, EON und Frau Merkel: Der Verlust von Macht und gesellschaftlicher Bedeutung. Apokalyptisches Denken ist doppelsinnig. Es redet von den tönernen Füßen, auf denen die Macht, die Mächtigen stehen, die in der großen Statue symbolisiert sind, die am Ende zusammenbricht: „Da wurden das Eisen und der Ton, das Erz, das Silber und das Gold mit einem Male zu Staub und es ging wie mit dem Spreu im Sommer auf der Tenne: Der Wind trug alles fort, und keine Spur fand sich mehr davon“ (Dan2,35). Den Herrschenden mag das als Bedrohung erscheinen; denen, die sich im Kampf gegen Unterdrückung und Herrschaft befinden, ist es zugleich auch Offenbarung, was die eigentliche Übersetzung des griechischen apokalyptein ist: Die Offenbarung, das Offensichtlich-werden wirklicher Verhältnisse jenseits von Moratorien und Instrumentalisierung berechtigter Sorge , das Offensichtlich-Werden der Ausweglosigkeit von stress-tests und new green deal. Apokalyptisches Denken in diesem Sinne befreit: vom Zynismus oder Defätismus der Ausweglosigkeit, von der Unendlichkeit des Weiter-So zur Möglichkeit des Bruchs mit den Verhältnissen, der Hoffnung auf das Ereignis, der einzig wirklich realistischen Alternative. Aber auch für Merkel und Westerwelle hat Daniel einen Rat und eine Perspektive: „Darum, oh König, laß dir meinen Rat gefallen: Zerbrich deine Sünden durch Werke der Gerechtigkeit und deine Missetaten durch Erbarmen mit den Schwachen! Dann mag dein Glück von Dauer sein.“(Dan 4, 24)

Speist sich die Angst der Herrschenden aus der Unbeherrschbarkeit der sozialen und ökologischen Folgen der Atomenergie? Es ist die Angst um die gesellschaftlichen Folgen, d.h. um die eigene Position innerhalb der Machtgefüge. Wenn diese Angst der politischen Klasse in eine Angst vor den Folgen atomarer Desaster transponiert wird, um die eigene Macht zu sichern und so Menschen ansteckt und zum Ausstieg aus der Atomtechnologie bekehrt, kann uns das Recht sein. Unsere Angst ist es nicht. Die Herrschenden stehen wieder einmal auf tönernen Füßen. Es ist an uns.