Schlussbotschaft des V. Welttreffens der Sozialen Bewegungen in Rom

Die Folgende Erklärung haben die Teilnehmenden des V. Welttreffens der Sozialen Bewegungen aus Anlass der Begegnung mit Papst Leo XIV. verabschiedet:

Hoffnung organisieren durch eine Allianz gegen Ausgrenzung

Abschließendes Foto der Teilnehmenden des Welttreffens im Spin Time Labs in Rom.

Versammelt in Rom vom 21. bis 24. Oktober 2025 zu unserem V. Weltkongress, der in „Spin Time Labs“ – einer Gemeinschaft, in der Solidarität und Hoffnung für alle, die vom System ausgeschlossen sind, – realisiert wird, begegnen wir uns als Völker auf dem Weg. Wir sind entschieden zu solidarischem und geschwisterlichem Leben, uns aber auch des Leids unserer Brüder und Schwestern in den Peripherien dieses Planeten schmerzlich bewusst ebenso wie der unheilvollen Zeitläufe, die uns überfallen und herausfordern.
Die hier an alle Welt gerichtete Botschaft ist das Ergebnis eines gemeinsamen Prozesses, den wir 2014 mit Papst Franziskus begonnen haben, um den Dialog zwischen der Kirche und den Sozialen Bewegungen zu verbessern. Damit wollen wir erneut klarstellen, dass Landbesitz, Wohnung und Arbeit für alle Menschen die Grundlage für soziale Gerechtigkeit sind.


Im heutigen Kontext wachsender Ungleichheit und tiefgreifender Veränderungen stellen wir neue Herausforderungen fest, die uns nicht gleichgültig lassen und die wir als gesamte Menschheit verändern müssen, damit alle Menschen in voller Würde leben können.
Wir leben in einer von Gewalt, Ungerechtigkeit und Missachtung der Menschenwürde zerrütteten Welt. Erbarmungslos werden wir mit diesen Zeichen der Zeit konfrontiert. Weltweit sind es mehr als 50 aktive bewaffnete Konflikte, die Tod und Verwüstung säen; die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Allein in den 23 Monaten Krieg in Palästina haben mehr als 20.000 Kinder ihr Leben verloren.
Die wirtschaftliche Ungleichheit verschärft sich zusehends: Die reichsten 1 % der Weltbevölkerung besitzen mehr Vermögen als die anderen 99 %. Damit konzentrieren sie eine Macht auf sich, die politische Entscheidungen auf dem Globus beeinflusst, die Schwächsten benachteiligt und die unveräußerliche Würde jedes einzelnen Menschen verletzt.
Die prekäre Beschäftigungssituation breitet sich weltweit aus; bereits 60 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind von informeller Beschäftigung betroffen, in einigen Ländern sogar alarmierende 80 %. Das bedeutet, dass die große Mehrheit der Menschheit ohne Grundrechte und sozialen Schutz arbeitet. Es handelt sich dabei nicht nur um ein Randproblem, sondern um einen Prozess der Prekarisierung, der vom Wirtschaftssystem aktiv vorangetrieben wird und zu einer massiven Marginalisierung der formellen Arbeitswelt führt.
Trotz dieser Realität geben Millionen von Menschen nicht auf, sondern erfinden ihre eigene Arbeit am Rande der Gesellschaft neu, um überleben zu können: Menschen, die Kartons sammeln, StraßenhändlerInnen, Arbeiterinnen und Arbeiter auf dem Land, KrankenpflegerInnen, TextilarbeiterInnen und viele andere. Doch obwohl sie Gemeinschaft stiften und Leben schützen, haben Menschen, die in sozialwirtschaftlichen Betrieben tätig sind, weiterhin keinen Zugang zu den Grundrechten.
Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsbedingungen, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und Hungerlöhne sind keine Einzelfälle, sondern verschiedene Seiten derselben Medaille, nämlich der Verweigerung und Verletzung des Rechts auf menschenwürdige Arbeit.
Im Jahr 2024 starben oder verschwanden mehr als 2.500 Migrierende Frauen und Männer bei dem Versuch, das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren. Sie waren auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Hoffnungslosigkeit. Doch statt Gastfreundschaft, Aufnahme und Fürsorge erleben wir einen alarmierenden Anstieg des Hasses gegenüber den Ärmsten. Die europäischen Behörden kriminalisieren immer wieder die Seenotrettung, die von Civil Fleet (einem Netzwerk von sozialen Organisationen und Rettungsschiffen) also zivilgesellschaftlich organisiert ist. Die Kriminalisierung von Solidarität ist ein charakteristisches Merkmal jener Unmenschlichkeit, die die Welt in ihrer Gewalt hält.
Dieser Tragödie wird noch größer durch die Millionen von Obdachlosen, die kein Dach über dem Kopf haben, unter dem sie Schutz finden können; durch die jährliche Brandrodung von Millionen Hektar Wald; durch die Verschmutzung der Gewässer, die Rohstoffausbeutung und die immer dringlicher werdende Beseitigung von Umweltschäden, die ein räuberisches Modell verursacht, weil weder seine sogenannte Energiewende noch die Ausbeutung der für die neue Technologie und das Wettrüsten notwendigen Mineralien das Land der Völker respektieren.
Dieses räuberische Modell missachtet nicht nur den Planeten, sondern verübt auch geschlechtsspezifische Gewalt und verursacht Leid und Tod für Tausende von Frauen.
Zugleich werden Armut und soziale Führungskräfte immer häufiger kriminalisiert.
Wir fordern darüber hinaus das universelle Recht auf Gesundheit und medizinische Versorgung als unverzichtbare Voraussetzung für ein würdiges Leben.
Die Sozialen Bewegungen haben Brüder und Schwestern, die Märtyrer sind: die ihr Leben hingegeben haben, weil sie entschieden und konsequent für Gerechtigkeit, Land, Wohnung und Arbeit eingetreten sind, aber auch viele, die verfolgt und inhaftiert wurden, weil sie die Würde der Ausgegrenzten verteidigten.
Doch mit all diesen Problemen sind wir nicht allein. Papst Franziskus hat uns mit seinem prophetischen Zeugnis begleitet. Sein Aufruf zu einer Kirche, die hinausgeht, barmherzig und mitfühlend ist, hat uns ermutigt auf unserem Weg. Jetzt hat uns Papst Leo XIV. versichert, dass er uns zur Seite steht, und uns ebenfalls Mut macht, hartnäckig unserer Mission zu folgen, Hoffnung in die Peripherien zu tragen.

Ideen zum Abschluss des V. Weltkongresses der Sozialen Bewegungen
– Nächste Schritte –
Papst Leo XIV. hat uns mit seiner Botschaft zum Treffen ermutigt, über die „neuen Dinge” nachzudenken, durch die wir herausgefordert sind, und zwar gemeinsam mit allen, die an den Peripherien unserer Gemeinschaften leben:
„Betrachtet die neuen Dinge aus der Sicht der Peripherie und freut Euch an einem Engagement, das sich nicht auf Protest beschränkt, sondern nach Lösungen sucht ”, sagte Papst Leo XIV.
Was sind diese Dinge, die neuen Strategien und Instrumente, die wir in Betracht ziehen und die uns helfen sollen, unsere Sozialen Bewegungen zu stärken, unsere Verbindung zur Kirche zu vertiefen, die materiellen Bedürfnisse unserer Mitmenschen an den Rändern zu befriedigen und so das Antlitz der Erde zu erneuern?

1. Gemeinsam strukturelle, wirtschaftliche und politische Maßnahmen vorantreiben:
Einige Ideen für die ganzheitliche menschliche Entwicklung, die wir diese Woche im Kontext der Trias „Land, Wohnung und Arbeit“ identifiziert haben:
● Recht auf würdige und sichere Arbeit: Anerkennung der Tätigkeiten, die Arbeitnehmer*innen unter absolut prekären Bedingungen ausüben, und Gewährleistung ihrer Sicherheit sowie ihrer Gesundheit am Arbeitsplatz.
● Universelle Arbeits- und Sozialrechte: Förderung eines universellen Grundeinkommens als Anerkennung für unbezahlte Arbeit und als Existenzsicherung; Förderung der Verkürzung von Arbeitszeit, um Arbeit neu zu verteilen und das Leben zu sichern; Einsatz für den Zugang aller zu hochwertiger Bildung und öffentlicher Gesundheitsversorgung.
● Frieden mit sozialer Gerechtigkeit: Kriege und Völkermorde, die immer die verarmten Völker am härtesten treffen, aktiv anprangern und ablehnen und die friedliche Lösung von Konflikten fördern.
● Wirtschaftliche Souveränität: Einsatz für die Streichung illegitimer Auslandsschulden, die unsere Länder erdrücken und die gesellschaftliche Politik zugunsten der kleinen Leute beeinträchtigen.
● Geschlechtergleichheit: Aktive Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von allen Formen der Missachtung von Frauen und diversen Menschen, Förderung ihrer Rolle in unseren Organisationen und in der Gesellschaft.
● Demokratie von unten (democracia popular) Mitwirkung und Entscheidungsmacht für die einfachen Leute, um den Entscheidungen der Wirtschafts- und Finanzeliten entgegenzutreten, die heute die Demokratie gekapert haben.
● Rechte von MigrantInnen: Verteidigung der vollen Staatsbürgerschaft und der Rechte von MigrantInnen und Flüchtenden, Bekämpfung von Hass und repressiven Maßnahmen gegen Arme, von Fremdenfeindlichkeit.
● Ökologische Gerechtigkeit und Souveränität über die Gemeingüter: Bekämpfung der Klimakrise aus der Perspektive der Völker, Ablehnung des extraktivistischen Modells und der falschen Lösungen, welche die Natur kommerzialisieren, und Verteidigung unserer Territorien.

2. Stärkung unserer Plattformen als Soziale Bewegungen und Kirche:
Wir wissen, dass unsere Bewegungen nur vorankommen können, wenn wir Isolation und Fragmentierung überwinden. Es reicht nicht aus, unsere eigenen Gemeinschaften oder Organisationen zu stärken: Wir müssen breitere Allianzen schmieden, Netzwerke von Netzwerken, die das Lokale mit dem Globalen verbinden. Nur eine wirklich organisierte Gemeinschaft kann dauerhafte Transformationsprozesse und solche Solidarität vorantreiben, die niemanden zurücklässt.
Wir werden die hier in Rom entwickelte Plattform zusammen mit der Botschaft von Papst Leo XIV. in den lokalen Kirchen und Diözesen, in unseren örtlichen Gemeinschaften, in unseren Städten und Regionen weitergeben.
Wir wollen neue Formen der Präsenz und des Zeugnisses fördern, die dazu beitragen, das Bewusstsein breiter Schichten unserer Länder zu wecken und mehr Menschen zu inspirieren.
Wir wollen entschieden unser globales Bündnis erneuern, das von jeder örtlichen Erfahrung aus und von jedem Landstrich mit seinen lokalen Besonderheiten aus geknüpft wird, ein Bündnis zwischen organisierten Bewegungen, der Zivilgesellschaft, der katholischen Kirche und allen religiösen Traditionen, die miteinander von einer Welt träumen, in deren Mittelpunkt der Mensch und seine Würde stehen und nicht der Profit.
Eine Allianz, die in der Lage ist, Männer und Frauen guten Willens zu verbünden, die eine Menschheit aufbauen wollen, die auf Geschwisterlichkeit, Gleichheit und Gerechtigkeit basiert, wo Frieden und Gerechtigkeit sich küssen.

3. Entwicklung neuer Strategien für Gesellschaftspolitik:
Wir schlagen vor, Strategien zu entwickeln, die stets von der Basis ausgehen: Sie beginnen mit den Bedürfnissen, Geschichten und lokalen Gegebenheiten und münden dann in regionale und nationale Kampagnen, die in der Lage sind, unmenschliche Strukturen und Systeme zu beeinflussen.
Besonders notwendig ist derzeit die Einbeziehung unserer kleinen und großen Gemeinschaften, die in unseren Dörfern und Städten konsequent handeln und sich mit dem Leid der schutzbedürftigen Menschen auseinandersetzen. Dies muss kontinuierlich und konsequent geschehen und eine immer tiefer gründende Solidarität demonstrieren.
Diese lokalen Aktionen müssen zu koordinierten Solidaritätsbekundungen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene verknüpft werden.

4. Das Engagement der Sozialen Bewegungen globalisieren, Kommunikationsfähigkeit stärken und Verbundenheit festigen:
Wir müssen unserer Stimme Gehör verschaffen und die Realitäten der Peripherien sichtbar machen, indem wir den Medienbann durchbrechen, der uns unsichtbar macht oder stigmatisiert. Unsere Stärke liegt in der Organisation, aber um die Veränderungen zu erreichen, die diese Zeit erfordert, müssen wir unsere soziale Basis erweitern und weitere gesellschaftliche Sektoren für den Kampf um Land, Wohnung und Arbeit gewinnen.
Wir schlagen vor, neue Zugangs- und Mitwirkungsmöglichkeiten zu entwickeln, damit sich mehr Menschen in unseren Bewegungen engagieren können. Wir brauchen auch Kommunikationsstrategien, die dazu beitragen, Einstellungen und Überzeugungen zu formen, die auf Werten basieren wie Solidarität und Sorge um unser gemeinsames Haus. Wir stellen uns der Herausforderung, eine Strategie zur Veränderung des öffentlich verbreiteten Narrativs zu entwickeln, um Hassreden und Resignation entgegenzuwirken, indem wir an die Werte und tiefen Sehnsüchte unserer Völker anknüpfen und deutlich machen, wer wir sind, wen wir vertreten und wofür wir kämpfen.
Ebenso müssen wir die technologische Entwicklung so ausrichten, dass sie die menschliche und ganzheitliche Entwicklung unserer Gemeinschaften fördert und nicht die Interessen des Finanz- und Spekulationskapitals.
Wir werden den digitalen Raum aktiv nutzen; wir werden Technologie, Daten und virtuelle Instrumente nicht nur zur Verbreitung unserer Botschaft einsetzen, sondern vor allem zur Stärkung der Organisation, zur Mobilisierung und Mitwirkung unserer sozialen Basis, indem wir Online-Aktionen mit dem territorialen Kampf verbinden.
Wir sind zutiefst dankbar für die Worte von Papst Leo XIV.: „Ich bin an Eurer Seite!“ Diese Unterstützung ist von enormem Wert, um gemeinsam, als weltweite und lokale Kirche, Strategien aktiver Gewaltlosigkeit zu verfolgen. Darin entwickeln wir unsere Anklage und unser prophetisches Handeln gegen Ausgrenzung und Unmenschlichkeit.
Spin Time (Rom), 24. Oktober 2025