Neue Wege – Über die Amazonassynode im Herbst 2019

Im kommenden Oktober wird im Vatikan die Amazonas-Synode stattfinden. Dort werden sich Bischöfe, Gemeindevertreter und Vertreter der indigenen Völker aus den Ländern und Gebieten treffen, die man Amazonien nennt. Es handelt sich dabei um Brasilien, Kolumbien, Bolivien, Venezuela, Französisch- und Britisch Guyana, Surinam,Ecuador und Peru.

Thema dieser heiß ersersehnten und lange vorbereiteten Synode wird der Schutz des Amazonas-Gebietes sein und die Frage, welche Antwort die Kirche auf diese Herausforderungen geben muss. Sehr engagiert in der Vorbereitung dieser Synode ist der auch mit dem ITP verbundene Bischof Erwin Kräutler und der Befreiungstheologe Paulo Suess. Wir werden in Zunkunft in unregelmäßigen Abstaänden Texte von ihnen und anderern zur Synode veröffentlichen. Den Beginn macht ein Interview mit Paulo Suess, in dem es um das Vorbereitungspapier geht.

Ein Interview von Patrícia Fachin (Unisinos) mit Paulo Suess über die Amazonas-Synode 2019

1. Wie beurteilen Sie generell das für die Pan-amazonische Synode vorbereitete und am 8. Juni vom Vatikan veröffentlichte Dokument, speziell die drei Frage-Blöcke, die den verschiedenen Teilen des Dokumentes entsprechen?

Die dem „Vorbereitungsdokument“ für die Pan-amazonische Synode angehängten Fragen können erweitert, neu aufgegriffen oder durch die Antworten in ihrem Kontext gesehen werden. Sie offenbaren die Haltung der Autoren des Textes, die einen Dialog beginnen und nicht Antworten geben wollen.

Die generelle Beurteilung des „Vorbereitungsdokumentes“ hängt ab von Prämissen, welche Kant (1724-1804) in seinen drei Kritikpunkten auf dem Gebiet der Philosophie so formulierte: Was können wir wissen? Was müssen wir tun? Was dürfen wir erhoffen? Auf diesen drei Gebieten – Wissen, Tun, Erhoffen – steht die Kirche vor riesigen Aufgaben, sei es in der Vorbereitung der Synode, sei es bei ihrer Durchführung im Oktober 2019.

Was können wir wissen? Ein „Vorbereitungsdokument“ darf nicht mit konkreten Vorschlägen die eigentliche Arbeit der Synode ersetzen. Diese Vorschläge müssen von den Gemeinden Amazoniens und von den Vorsteherinnen und Vorstehern dieser Gemeinden kommen. Wissenschaftliche Arbeiten so wie soziologische, ökonomische, geografische und ökologische Studien über Amazonien füllen ganze Bibliotheken. Weniger bekannt sind die reale Geschichte Amazoniens, die Geschichte seiner Kulturen und der zentrale Kern dieser Kulturen, die Weisheit der Völker, die dieses Riesengebiet bewohnen. Doch diese Wissenslücke über Amazonien kann Schritt für Schritt durch eine Beteiligungs- und synodale Methodologie, die das „Vorbereitungsdokument“ und die Organisation der Synode selbst vorschlagen, geschlossen werden. Das Ziel der Synode ist es, über „neue Wege“ für die Kirche Amazoniens nachzudenken und also Entscheidungen über die pastorale Praxis zu treffen. Also wird von allen an dieser Synode Beteiligten erwartet, nicht nur das durch die Jahrhunderte entstandene theologische Wissen zu beschwören und den Verhandlungen für pastorale, liturgische und theologische Erneuerungen eventuelle Grenzen zu setzen, sondern stattdessen klarzustellen, inwieweit gewisse theologische Kenntnisse historisch sind und nicht notwendigerweise für alle Zeiten normativ. Die „Kirche, die hinausgeht“, die Papst Franziskus vorschlägt, erinnert daran, dass Jesus kein Maurer war, der Mauern erbaute, sondern Zimmermann, der Türen und Fenster herstellte. Wir brauchen wieder die Freiheit der Christen der ersten Jahrhunderte und selbst des Zweiten Vatikanischen Konzils, welches in Glaubenssachen (in credendo) von der Unfehlbarkeit des Gottesvolkes sprach. Denn „als Teil seines Geheimnisses der Liebe zur Menschheit begabt Gott die Gesamtheit der Gläubigen mit einem Instinkt des Glaubens – dem sensus fidei – der ihnen hilft, das zu unterscheiden, was wirklich von Gott kommt“ (EG 119).

Was müssen wir tun? Wir müssen das gegenseitige Hinhören untereinander einüben. Für die Weltkirche ist es von vitaler Bedeutung, die indigenen Völker und die Gemeinden anzuhören, die es in Amazonien gibt. Sie sind die ersten Gesprächspartner dieser Synode. Beim Hinhören auf diese Menschen kann man die Herausforderungen kennenlernen und neue Wege entdecken, die Gott von der Kirche erwartet. Papst Franziskus gab uns ein Beispiel, als er kam, um sich mit den Vertretern der Völker Amazoniens in Puerto Maldonado (Peru) zu treffen. Er kam nicht, um zu „besuchen“, sondern um „hinzuhören“. Das Hinhören ist ein Akt des Glaubens und ist „angewiesen auf ein kirchliches Lehramt, das sich vom aufmerksamen Hinhören auf den Heiligen Geist leiten lässt, dem Bürgen für das Zusammenwirken von Einheit und Verschiedenheit“ [60]1. „Es ist nötig, dass wir uns alle von ihnen [den Armen] evangelisieren lassen“ (EG 198) und von deren Kulturen [75], welche „Kulturen der Begegnung“ im alltäglichen Leben sind, in denen man in „vielgestaltiger Harmonie“ lebt (EG 220), in einer „zufriedenen Genügsamkeit“ (LS 224s) [vgl. 4].

Was dürfen wir erhoffen? Das Hauptziel dieser Synode ist es, eine Kirche mit einem „amazonischen Gesicht“ zu gestalten. Das heißt Befreiung des Gottesvolkes von allen Formen der Entfremdung und des Neokolonialismus, welche ihre Biodiversität zerstören durch die Auferlegung kultureller Modelle (religiös, erzieherisch, ökonomisch,, politisch), die ihrem Leben fremd sind. Heute noch finden sich Reste des kolonialen Projektes, das Formen der Dämonisierung indigener Kulturen geschaffen hat [cf. 24]. Es ist also Aufgabe der Synode, „mitzuarbeiten an einer Welt, die in der Lage ist, mit den Strukturen zu brechen, die das Leben opfern – und mit der Mentalität der Kolonisierung -, um Netzwerke der Solidarität und Interkulturalität zu schaffen“ [4]. Es ist Aufgabe der Synodenväter, das amazonische Gesicht der Kirche aufleuchten zu lassen oder „den Prozess der Inkulturation zu vertiefen“ (EG 126) [79] und prophetisch die Situationen der Ungerechtigkeiten in der Welt und in der Region zu denunzieren [cf. 66].

Agrobusiness in Brasilien – Sojaanbau und Pestizide

Die großen geografischen Entfernungen in den Amazonasregionen sind auch Schuld an den großen pastoralen Unterschieden. Das Geheimnis der Menschwerdung und die pastorale Praxis der Inkulturation verweisen auf die bereits geschehene Überwindung dieser Entfernungen. Neue Technologien (Autos, motorisierte Schnellboote, Internet) spielen eine sekundäre Rolle bei dieser Überwindung von geografischen und pastoralen Entfernungen. Das „Dokument von Aparecida“, von 2007, beschreibt die Kluft zwischen pastoralen Notwendigkeiten und der Realität so: „Die unzureichende Zahl der Priester und ihre ungleiche Verteilung haben zur Folge, dass viele Gemeinden nicht regelmäßig an der Feier der Eucharistie teilnehmen können. Wenn wir bedenken, dass die Eucharistie das Konstitutiv der Kirche ist, sind wir um die vielen tausend Gemeinden besorgt, die über lange Zeit die sonntägliche Eucharistiefeier entbehren müssen“ (DAp 100e) [cf. 64]. Der Wegfall der Eucharistie berührt zentrale Geheimnisse des christlichen Lebens: die trinitarische Gemeinschaft in der Kirche „hat ihren Höhepunkt in der Eucharistie, welche das Sendungsprinzip und das Sendungsprojekt des Christen ausmacht“ (DAp 153). Wie können die Gemeinden Amazoniens „ihren Glauben an die zentrale Bedeutung des österlichen Geheimnisses Christi leben, so dass sich ihr gesamtes Leben immer mehr eucharistisch gestalte“ (DAp 251)? Von der Synode wird erwartet, dass die Kirche mit Prozessen beginnt, die auf die konkrete Realität der amazonischen Völker Antwort geben. Die „neuen Wege“ sind immer noch dem Zweiten Vatikanischen Konzil geschuldet, dessen Dekret „Presbyterorum ordinis“ eine klare Sprache spricht: „Die christliche Gemeinde wird aber nur auferbaut, wenn sie Wurzel und Angelpunkt in der Feier der Eucharistie hat; von ihr muss darum alle Erziehung zum Geist der Gemeinschaft ihren Anfang nehmen“ (PO 6). Von der Synode wird Kohärenz und Relevanz erwartet, Kohärenz mit den normativen Aussagen und Versprechen der Kirche und Relevanz mit den Urvölkern, die „in ihren Territorien nie derart bedroht [waren], wie sie es jetzt sind“ [24].

2. Welches sind die drei wichtigsten Fragestellungen des Vorbereitungsdokumentes?

Das „Vorbereitungsdokument“ mit seinen Fragebögen übernimmt Inspirationen von Papst Franziskus, der bereits bei seiner ersten Ankündigung der Verwirklichung einer speziellen Bischofssynode für die pan-amazonische Region, am 15. Oktober 2017, als Hauptziel definierte, „neue Wege für die Evangelisierung“ zu finden. Das „Vorbereitungsdokument“ spricht 18 mal von diesen „neuen Wegen“ für die Evangelisierung der Kirche Amazoniens. Diese neuen Wege, bei denen drei Dinge bedacht werden sollten, sind der für die Arbeit der pan-amazonischen Synode vorgegebene rote Faden: – die Protagonisten (Amazonasvölker), – die Mikro-Region (amazonisches Gesicht), – die Makro-Region (neuer Lebensstil der ganzen Menschheit).

Zunächst die Frage der Subjekte und der Protagonisten. Die Synode wird durch Bischöfe verwirklicht, für und mit den amazonischen Völkern [1], deren Leben bedroht ist und deren Territorien begehrt sind [cf. 24]. Es geht also um einen mit dem ganzen Gottesvolk geteilten Protagonismus und um einen synodalen Weg. Die Teilnahme der amazonischen Völker geht über bloße Beratungen hinaus, weil das Volk Gottes den „Glaubenssinn“ (sensus fidei) besitzt, der diese Völker in ihrer Gesamtheit unfehlbar macht (EG 119; cf. LG 12; DV 10) [61].

An zweiter Stelle geht es um den Aufbau einer Kirche mit dem Gesicht Amazoniens. Einer solchen Kirche mit dem Gesicht Amazoniens geht es um den Aufbau einer nicht mehr kolonisierenden, sondern einer inkulturierten, kontextualisierten Kirche. Auf diesem Hintergrund „müssen dringend die für heute notwendigen Dienstämter evaluiert und neu durchdacht werden, damit sie den Aufgaben einer Kirche mit dem Gesicht Amazoniens und einer Kirche mit indigenem Antlitz entsprechen“ [81]. Dieses amazonische und indigene Gesicht zeigt sich bereits heute in der Anwesenheit und dem Sich-Einbringen der Frauen in den Gemeinden. Die Forderung nach der Zulassung von viri probati ist die Forderung von einem halben Jahrhundert zurück nach einer weiterhin klerikalen Macho-Kirche. Wenn wir von einer indigenen nicht-kolonisierenden Kirche sprechen, werden wir von viri probati und uxoresprobatae sprechen müssen, von Männern und Frauen, die seit langen Jahren ihre pastoralen Talente in der Kirche einbringen. Das „Vorbereitungsdokument“ greift in dieser Thematik nicht vor, öffnet jedoch Wege in diese Richtung.

Drittens, ein neuer Lebensstil für alle. Die „neuen Wege“ sind keine Parallelwege, die sich in der Ewigkeit begegnen, sondern Wege des Dialogs und der Vernetzung. Der Evangelisierungsprozess darf nicht getrennt werden vom Einsatz für die Kulturen, für ihre Territorien und für die Ökologie [cf. 52]. „`Alles ist miteinander verbunden´ (LS 16, 91,117,138,240) [cf.48], das wiederholt Papst Franziskus beharrlich, um den Dialog mit den spirituellen Wurzeln der großen religiösen und kulturellen Traditionen zu erleichtern“ [72]. Die „neuen Wege“ laden zu einem neuen Lebensstil einer „zufriedenen Genügsamkeit“ ein (LS 224f), welche sich die Mystik der gegenseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten von allem, was existiert, zu eigen macht. In Beziehung zueinander stehen die Mutter Erde und die ganze Menschheit, die Religionen und die Träume. Auch das Kreuz und die Auferstehung sind Teil der synergetischen Lebenspolarität. Sie lässt uns „Gott in allen Dingen begegnen“ , wie uns Meister der Mystik Eckart und Ignatius von Loyola lehrten. Ihr Motto, das uns für einen neuen Lebensstil inspiriert, treibt uns an, „eine globale Solidarität zu praktizieren“ [74], das „Pflichtbewusstsein bei der gemeinsamen Arbeit“ [25] wahrzunehmen und das ungeordnete Vorgehen des Menschen gegen die Natur, welche die Zukunft seiner eigenen Lebensbedingungen bedroht, zu überwinden. „Gott begegnen in allen Dingen“ ist ein wichtiger Schlüssel, um „die Wegwerfkultur“ (LS 6) [2] zu überwinden und „eine ökologische Umkehr, die einen neuen Lebensstil mit sich bringt, dessen Fokus der andere ist“, zu verwirklichen. „Es ist dringend, globale Solidarität zu üben und den Individualismus zu überwinden, neue Wege der Freiheit, der Wahrheit und der Schönheit zu öffnen“ [74].

3. Gibt es eine wichtige Fragestellung, die in dem Dokument nicht auftaucht?

Das “Vorbereitungsdokument“ für die Synode hatte nicht die Aufgabe, alle für die Amazonasregionen wichtigen Fragen zu berücksichtigen. Man folgte dem Vorschlag von Papst Franziskus, der sagt: „Eine Seelsorge unter missionarischem Gesichtspunkt steht nicht unter dem Zwang der zusammenhanglosen Vermittlung einer Vielzahl von Lehren […] Die Verkündigung konzentriert sich auf das Wesentliche […] Die Aussage vereinfacht sich, ohne dadurch Tiefe und Wahrheit einzubüßen“ (EG 35). In der Tat wurden Fragen etwa über das Thema Arbeit oder Ökumene oder über den interreligiösen Dialog nicht vertieft. Die wirklich wichtigen Fragen für die Völker Amazoniens (indigene Völker, Quilombolas2, Ribeirinhos3, Nachkommen der Afrikaner, Landbevölkerung und Stadtzentren) werden wir nur kennen, wenn die Fragebögen mit Antworten, Vorschlägen und neuen Fragen zurückkommen.

4. Das Vorbereitungsdokument folgt der Methodologie „Sehen, urteilen (abwägen) und Handeln“. Wie wichtig ist diese Methodologie speziell für diese Synode?

Die induktive Methodologie „Sehen, Urteilen, Handeln“, welche von der vielschichtigen konkreten Realität ausgeht, kennzeichnet seit Medellin die lateinamerikanische Theologie. Bereits zu beginn seines Pontifikates lädt uns Papst Franziskus ein, bei der Evangelisierung die Kultur des anderen zu übernehmen und rät: „Manchmal verfallen wir in der Kirche der selbstgefälligen Sakralisierung der eigenen Kultur und damit können wir mehr Fanatismus als echten Missionseifer erkennen lassen“ (EG 117). Wenn das Ziel dieser Synode der Aufbau einer Kirche mit amazonischen Gesichtern sein wird -und das sind viele-, und wenn die Herausforderungen für die pastorale Arbeit am Amazonas die großen Entfernungen sind, dann – um die zwei Entfernungen zu überwinden, die kulturelle, die „die Gesamtheit des Lebens eines Volkes umfasst“ (EG 115), und die geografische, die die kirchlichen und ministerialen Strukturen beeinflusst -, bietet sich die induktive Methodologie an. Sie erlaubt, das „Sehen, Urteilen (Abwägen), Handeln“ zu kontextualisieren.

Das Christentum in Amazonien zu kontextualisieren, bedeutet, „neue Wege“ zu eröffnen, im Plural der Kulturen und seiner geschichtlichen Evolution. Denn: „Es würde der Logik der Inkarnation nicht gerecht, an ein monokulturelles und eintöniges Christentum zu denken“ (EG 117). „Kontext“ bedeutet Eintauchen, Suche nach Nähe, um den Menschen und die Völker in ihrer je eigenen Geschichte wahrzunehmen, in ihrer je eigenen Kultur, in ihren sozialen Beziehungen und Geographie, in den Gegensätzen von Interessen, Konflikten und Macht. Wie soll man sich in dieser amazonischen Welt positionieren zwischen Isolierung und Aggiornamento? Wie soll man die Glaubensartikel übersetzen, die Zeichen der Gerechtigkeit, die Bilder der Hoffnung und die Praktiken der Solidarität für Gesprächspartner der traditionellen und zur gleichen Zeit modernen Welt? Wie soll man die Inkulturation des Glaubens leben und die Kontra-Kulturalität des Evangeliums? Wie kann eine global geeinte- und eine örtlich eingewurzelte Kirche gelingen? Wir benötigen ein neues Konzept der Einheit in der Verschiedenheit des Heiligen Geistes, weil „die Achtung vor dem gemeinsamen Haus“ auch die Achtung vor dem Haus eines jeden einzelnen bedeutet.

5. Wie sehen Sie persönlich die biblisch-theologische Dimension des Dokumentes, speziell im Hinblick auf die Verkündigung des Evangeliums in Amazonien, wenn man an die soziale, ökologische, sakramentale und kirchlich-missionarische Dimension denkt?

Alle erwähnten Dimensionen sind keine Unterteilungen der „biblisch-theologischen Dimension“ des Dokumentes, sondern, innerhalb der Methodologie von „Sehen, Urteilen und Handeln“, des zweiten Teiles des Textes, in dem es um das „Il DISCERNIR (Unterscheiden) für eine pastorale und ökologische Bekehrung“ geht.

Wenn Sie nach „meiner persönlichen Meinung“ fragen, so möchte ich Folgendes sagen: ich habe allen Grund, den Text so, wie er ist, anzunehmen. Dass diese „pastorale und ökologische Bekehrung“, in allen Unter-Abschnitten fünf mal eingeführt wird mit dem Mantra „das Evangelium Jesu in Amazonien verkünden“, ist ein stilistischer Fehler und kein semantischer. Er könnte vermieden werden durch einen umfassenderen Titel aus dem zweiten Teil des Dokumentes: „IL DISCERNIR. Für eine pastorale und ökologische Bekehrung, die ausgeht von der Verkündigung des Evangeliums Jesu in Amazonien“. Der Rest, in allen fünf Dimensionen (in der biblisch-theologischen Dimension, in der sozialen, ökologischen, sakramentalen und kirchlich-missionarischen Dimension) Gründe für die „pastorale und ökologische Bekehrung“, zu finden, ausgehend von der Verkündigung des Evangeliums, bleibt dann eine hermeneutische Frage. In der biblisch-theologischen Dimension stehen die Geheimnisse der Schöpfung, der Menschwerdung und der Erlösung – wie eine Neue Schöpfung-, im Vordergrund. Die soziale Dimension betont die „enge Verbindung zwischen Evangelisierung und menschlicher Förderung“ (EG 178) [42]. Die ökologische Dimension verweist auf „wesentliche Verbindung zwischen Gesellschaft und Umwelt“ [49]. Die sakramentale Dimension zeichnet sich dadurch aus, dass „die Natur von Gott angenommen wird und sich in Vermittlung des übernatürlichen Lebens verwandelt“ [57], und im sakramentalen Leben verwirklicht sich die Kontemplation Gottes in allen Dingen. Die kirchlich-missionarische Dimension spricht von der „Teilnahme aller“ beim Lob Gottes. „Das Gotteslob muss stets einhergehen mit der Praxis der Gerechtigkeit zugunsten der Armen“ [60] und mit einem „wirksamen Einüben gegenseitigen Zuhörens“ [64]. Die fünf Dimensionen einer „pastoralen und ökologischen Bekehrung“ sind kein reißendes Unwetter, sondern vielmehr ein leichter Nieselregen, um die „Neuen Wege“ zu berieseln und den Staub der Straßen zu absorbieren.

6. Gibt es schon Reaktionen auf das Vorbereitungsdokument der Pan-amazonischen Synode innerhalb der brasilianischen Kirche und speziell in Amazonien? Was wird getan, damit die Fragbögen auch in die Hände der Laien gelangen?

Seit langem gibt es bei der brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB) eine eigene Bischofskommission für Amazonien und seit dem vergangenen Jahr auch das kirchliche Netzwerk Pan-Amazonien (REPAM-Brasil), dessen Präsident der Kardinal Cláudio Hummes ist. Durch Treffen und territoriale Versammlungen beraten diese beiden Einrichtungen Diözesen und Gemeinden im ganzen pan-amazonischen Gebiet und in der brasilianischen Gesellschaft in ökologischen, ökonomischen und pastoralen Fragen, die diese Makroregion betreffen. Bei der Bischofskonferenz und den ihr verbundenen Instituten, wie etwa dem CIMI (Indianermissionsrat) war schon das „Vorbereitungsdokument“ erwartet worden, und es wird in ihren verschiedenen Sites im Internet verbreitet. Die Bischofskonferenz ließ das Dokument bereits drucken und verschickte es an alle Diözesen und Prälaturen. In Brasilien werden die Antworten der Fragebögen an folgende E-Mail-Adressen geschickt: sinodoamazonia@gmail.com. Die CNBB und REPAM-Brasil richten eine für die Kommunikation rund um die Synode spezifische Plattform ein.

Es ist noch zu früh, um Reaktionen auf das Dokument zu erhalten, vor allem Reaktionen aus den Gemeinden im Innern des Landes, von wo aus man konkrete Antworten und Vorschläge erwartet, die der Bitte von Papst Franziskus in Puerto Maldonado folgen: „Helft euren Bischöfen, Missionaren und Missionarinnen, damit sie mit euch eins werden und auf diese Weise im Dialog aller ihr eine Kirche mit dem Gesicht Amazoniens und eine Kirche mit indigenem Gesicht formen könnt“ [90]. Dieses Sich-vertraut-Machen mit dem Dokument, durch Diskussionen und Zusammenfassungen der Antworten auf die Fragebögen, welches bis Mitte Januar (2019) erwartet wird, ist sehr abhängig von unseren Pastoralvertretern und -Vertreterinnen. Es wäre anzuraten, dass jede Region, Diözese, Gemeinde, Basisgemeinde eine synodale Arbeitsgruppe (GTS – Grupo de Trabalho Sinodal) erstellt, deren Aufgabe es wäre, am Ende – nach Einsammeln aller Antworten – eine Synthese der Antworten zu erstellen.

7. Wie wird die Bewertung dieser Antworten sein? Bis inwieweit wird und kann die Synodalität effektiv sein?

Ab Januar wird eine Arbeitsgruppe der Synode eine Synthese der Antworten vorlegen. Diese Synthese erfordert viel Feingefühl, um die Antworten nicht durch Bewertungen zu entstellen, so dass sich ihre Autoren nicht mehr darin wiederfinden. Ausgehend von dieser Synthese werden die Verantwortlichen das „Arbeitsdokument“ redigieren, das wiederum vom „Pre-Synodalen Rat“ diskutiert und gebilligt werden wird. Danach wird das „Arbeitsdokument“ an die Delegierten der Synode selbst geschickt, wie auch an die Vertreter der Bischofskonferenzen weltweit und der Römischen Kurie.

Eine Synode funktioniert nicht wie eine liberale Demokratie, eher wie eine Genossenschaft. In Brasilien sind viele Genossenschaften schon gescheitert, während andere gute Ergebnisse brachten. Die Synodalität kann effektiv sein, perfekt aber nicht. Effektiv zeigte sich die Pan-Amazonische Synode bereits in der Ausarbeitung des „Vorbereitungsdokumentes“. Mit den heterogenen Beiträgen, die von den Kirchen Amazoniens an der Basis kommen müssen, kann die Herausforderung einer synodalen Arbeit bei der Erarbeitung eines „Arbeitsdokumentes“ größer sein, aber nochmals: effektiv und nicht perfekt. Wenn es perfekt wäre, würde es das Ende der Geschichte bedeuten. Wenn es effektiv ist, bringt es uns einige Schritte voran, und der Prozess wird weitergehen.

8. Welches sind die zentralen Dokumente, die das Vorbereitungsdokument für die Synode theoretisch begründen, und die gewiss auch den Grund legen werden für das „Arbeitsdokument“

Auf der Suche nach „neuen Wegen“ für die Inkulturation und um die Kolonisierung der Kirche Amazoniens zu stoppen, sieht die Synode sich in einem Prozess, der bereits mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) begann. „Die Vorsehung des Vaters und die Güte der Schöpfung finden ihre Krönung im Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes, der sich allen nähert und alle menschlichen Kontexte umarmt, vor allem aber die der Ärmsten. Das II. Vatikanische Konzil umschreibt diese kontextuelle Nähe mit den Begriffen Anpassung und Dialog (vgl. GS 4, 11; CD 11; UR 4; SC 37ff.) sowie mit Menschwerdung und Solidarität (vgl. GS 32) [39].

In den Nach-Konzils-Jahren verwirklichte die lateinamerikanische Kirche Anstöße des II. Vatikanums, prägte eigene Begriffe und brachte die Säulen einer deduktiven kristallisierten Theologie zum Wanken. Die Konzilstheologie war eine induktive. Das lateinamerikanische Verständnis der Schlüsselworte dieser induktiven Theologie, die ihren Denkansatz ausgehend von der konkreten Realität aufbaut (cf. GS 62,2), erfand die Befreiungstheologie und andere kontextuelle Theologien, wie beispielsweise die indigene Theologie [cf. 82]. Im Prozess nach dem Konzil wurden neue Stichworte im theologisch-pastoralen Wortschatz übernommen: „Befreiung“ und „Option für die Armen“ (Medellin, 1968), „Teilnahme“ und „Basisgemeinden“ (Puebla, 1979), „Insertion“ und „Inkulturation“ (Santo Domingo, 1992), „Mission“, “Zeuge“ und „Dienst“ einer samaritanischen Kirche, Anwältin für Gerechtigkeit und für die Armen (Aparecida, 2007).

Seit den „Beschlüssen von Santo Domingo“ fügte das lateinamerikanische Lehramt ausdrücklich zum Paradigma der Befreiung auch noch das Paradigma der Inkulturation hinzu. Die Inkulturation des Glaubens und aller kirchlichen Aktivitäten, die aus diesem Glauben hervorgehen (Pastoral, Liturgie, Theologie, Verkündigung, Mission, soziale Werke), „ist für die Nachfolge Jesu unabdingbar“ (DSD 13), der die Menschheit durch seine Menschwerdung in einer geschichtlich-kulturellen Nähe erlöst hat. Das Paradigma der Inkulturation, wurde in der Synthese des Dokumentes von Aparecida wieder neu vorgeschlagen als der Weg, der immer klarer die Katholizität zum Ausdruck bringt. Worte wie „gestalten“ (DAp 215,330, 348), „Kontext“ (DAp 276,331), „sich einbringen“ (DAp 329, 517h) und „Präsenz“ (DAp 215, 474b) gehören zum Wortschatz der Inkulturation. „Durch die Inkulturation des Glaubens wird die Kirche mit neuen Ausdrucksformen und Werten bereichert. Sie kann auf diese Weise immer besser das Geheimnis Christi bekunden und feiern, den Glauben mit dem Leben verbinden und so nicht nur geographisch, sondern auch kulturell zu einer vollkommeneren Katholizität beitragen“ (DAp 479).

Auch im Hinblick auf die Weltkirche war dieser Prozess des Suchens nach „neuen Wegen“ für die Evangelisierung bereits Thema auf der Synode 2012 über „Die neue Evangelisierung für die Weitergabe des christlichen Glaubens“. Das apostolische Schreiben Evangelii gaudium (2013) von Papst Franziskus „über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute“ konkretisierte die Vorschläge der Synode über die Neuevangelisierung und machte aus den „Neuen Wegen“ den roten Faden seines Pontifikates (cf. EG 14). Evangelii gaudium, mit seinen Schlüsselworten wie „Dialog“ (EG 142), „Begegnung“ (EG 239), „Kirche im Aufbruch“ (EG 20ff), fügte dem theologisch-pastoralen Wortschatz neue Begriffe hinzu. Das „Vorbereitungsdokument“ ist mit diesen Paradigmen gut vertraut, die alle zusammen im Vorschlag der „neuen Wege“ für die Synode enthalten sind. Das Einberufen der Synode selbst ist nur möglich innerhalb dieses Prozesses, für den Papst Franziskus der zusammenführende Bürge ist.

In den zentralen Dokumenten, auf denen das „Vorbereitungsdokument“ ruht, ist das geschichtliche Gedächtnis des Gottesvolkes gegenwärtig, welches die Kirche an erfüllte Versprechen erinnert, aber auch an nicht-erfüllte während des bereits gegangenen Weges. Die Pan-amazonische Synode ist Erbin dieses gegangenen Weges. In Bezug auf die Kirche ist die Synode so etwas wie der Engel, der den Propheten Elias berührte und zu ihm sagte: „Steh auf und iss! Denn sonst ist der Weg zu weit für dich. Da stand er auf, aß und trank und wanderte in der Kraft jener Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberge, dem Horeb“ (1 Kö 19,8). Die Synode kann dieser Engel sein, der uns berührt. Die „neuen Wege“ erinnern an die lange Wanderschaft durch die Wüste, sind aber zugleich Versprechen, dass sich die Utopie des Berges Horeb und des Gottesreiches verwirklicht.

Veröffentlicht von der IHU am 22. Juni 2018
http://www.ihu.unisinos.br/580145-entrevista-especial-com-paulo-suess

Übersetzung aus dem Portugiesischen: Conrado Berning

1 Die Nummern in den eckigen Klammern beziehen sich auf das „Vorbereitungsdokument“, zu finden auf der Site des RELAMI Brasil (Rede latinoamericana de Missiólogos e Missiólogas) mit den Nummern der Abschnitte von 1 bis 90: http://www.missiologia.org.br/documento-preparatorio-do-sinodo-dos-bispos-para-a-amazonia/

Deutsche Ausgabe zu finden unter: https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/vorbereitungsdokument-amazonien.pdf

2 in den Urwäldern versteckte Siedlungen mit den Nachkommen der geflüchteten Sklaven.

3 Bewohner, angesiedelt entlang der Flussufer.