Fidel Castro tritt von seinen Ämtern zurück

Fidel Castro tritt von seinen Ämtern zurück. Diese Meldung löst naturgemäß eine Reihe von Reaktionen aus, von denen die meisten von den mainstream-medien kolportierten (alle folgenden Kommentare aus: http://www.tagesschau.de/ausland/castro38.html) natürlich das gleiche Lied singen: Cuba muss endlich zu Freiheit und Menschenrechten kommen!

EU zum Dialog bereit

Die Europäische Union ist zu einem „konstruktiven politischen Dialog“ mit Kuba bereit. Ein Sprecher von EU-Entwicklungshilfekommissar Louis Michel erklärte aber, Ziel müsse „der friedliche Übergang zu einer pluralistischen Demokratie“ sein. Der Sprecher pochte zudem auf die Achtung der Menschenrechte und eine Verbesserung des Lebensstandards der Kubaner.

Zurückhaltung in Spanien

Die spanische Regierung selbst reagierte zurückhaltend auf den Amtsverzicht Castros. Arbeits- und Sozialminister Jesus Caldera sagte, Madrid hoffe, dass Castros Rücktritt „der Anfang eines Wandels auf Kuba“ sein werde.

„Das Klima der Angst muss endlich ein Ende haben.“

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, begrüßte den Rückzug Castros. Die neue Führung in Havanna müsse sich jetzt dafür einsetzen, dass möglichst viele Menschen von Fortschritt und sozialer Sicherheit profitierten und sich am öffentlichen Leben beteiligen könnten, forderte er in einem Gespräch mit der Deutschen Presse Agentur.

Unter anderem taucht dabei immer wieder ein Name auf: Die „christliche Befreiungsbewegung“:

Das Entscheidende sei, dass nun weitere Schritte folgten, betonte Carlos Paya von der Christlichen Befreiungsbewegung (MCL). Dazu gehörten die Zulassung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Freilassung politischer Gefangener.

Leider erfährt man nichts von anderen Mitglieder dieser Bewegung, möglicherweise ist ihr Gründer zugleich auch ihr einziges Mitglied: Carlos Paya, aus einer katholischen Famile, war nach Angabe der englischen wikipedia-Ausgabe „1959 sechs oder sieben Jahre alt, als die kubanische Regierung begann, die Aktivitäten der katholischen Kirche zu unterdrücken“. Im Wikipedia fehlt leider der Hinweis darauf, dass 1959 nicht mehr viel zu unterdrücken war, weil sich die meisten katholischen Geistlichen und Ordensleuten aus gutem Grunde aus dem Land abgesetzt hatten: Die katholische Kirche war traditionell zunächst eng mit dem Kolonialsystem, später mit der Oligarchie und damit mit den us-amerikanischen Interessen verbunden. Und spätestens nach der Invasion in der Schweinebucht 1961 mussten sich zu Recht die katholischen Priester und Laien „zurückziehen“, die die US-Invasion unterstützt hatten. Vatikan und Hierarchie taten mit ihrem chronischen Antikommunismus den Rest dazu, den Graben zwischen cubanischer Regierung und Kirche für Jahrzehnte unüberwindbar zu machen.
Zurück zu Carlos Paya: Er inititierte das sogenannte Varela-Projekt, einer Unterschriftensammlung zu einer Volksbefragung über eine neue Gesetzesinitiative im Jahr 2001. Laut hier verbreiteten Informationen wurde diese Volksbefragung nicht zugelassen und einige Initiatoren wurden verhaftet. Carlos Paya selbst gehört nicht dazu: Er studierte trotz der Verfolgung aller gutgläubigen Katholiken Ingenieurswissenschaften und arbeitet als Spezialist für medizinische Geräte in einer staatlichen Einrichtung.
Worum handelt es sich beim Varela-Projekt? Im Prinzip ist es ein neuer Verfassungsentwurf, in dem neben –das müssen wir unterstellen- gut gemeinten menschenrechtspolitischen Grundsätzen auch eine Diversifizierung (sprich Ausweitung der Möglichkeiten von Privateigentum an Produktionsmitteln: Land, Fabriken, Maschinen etc.) der Eigentumsverhältnisse vorgesehen sind. Soweit so gut, könnte man meinen: Nur tut sich hier das ganze Dilemma der Situation Cubas auf. Gerade mit den jetzt zur Verfügung stehenden Mitteln hat es Cuba bis heute geschafft, auf dem Human Development Index (HDI), der jährlich vom United Nations Development Program (UNDP) veröffentlicht wird, im weltweiten Vergleich für das Jahr 2005 auf Platz 52 zu stehen, im lateinamerikanischen Kontext sogar auf Platz fünf. Ich denke, es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass Cuba nicht mit der Bundesrepublik verglichen werden darf (obwohl es diesen Vergleich nicht wirklich zu scheuen braucht!), sonder eben mit anderen lateinamerikanischen Ländern. Dass zugleich die ökonomische Situation immer noch schwierig ist, und auch im Bereich von Partizipation und Menschenrechten nicht alles in Ordnung ist, bleibt dabei unbestritten.
Nur: die oben angeführten Kommentare, die Krokodilstränen über die Menschenrechtssituation in Cuba vergiessen und zugleich pluralistische Demokratie und Verbesserung der Lebenssituation der Cubaner fordern, sind an Heuchelei und Erbärmlichkeit nicht mehr zu überbieten. Wissen wir doch, dass es angesichts der gegenwärtigen Weltverhältnisse hier für die meisten Menschen dieser Erde einen grundsätzlichen Gegensatz gibt – jedenfalls im Sinne der herrschenden Verständnisse: Dort, wo sich europäisches oder us-amerikanisches Demokratie- und Freiheitsverständnis durchsetzt, können wir von tendentieller Abwesenheit der grundlegenden Menschenrechte, nämlich dem Recht auf Leben- ausgehen.
Im Falle der „christlichen Befreiungsbewegung Cubas“ gehe ich hier wohlwollend, wenn auch zugleich tragisch, von hochgradiger Naivität aus. Unter den gegebenen Bedingungen wird es keinen pluralistischen Sozialstaat nach europäischem Vorbild in Cuba geben können. – Und der ist auch nicht wünschenswert, weil zugleich Teil der Bedingungen, die ein prosperierendes sozialistisches Cuba verhindern (Eu und Us-Embargos!). Die historisch realistische Alternative lautet: Pressevielfalt oder Recht auf Leben.
Wer sich also jetzt in den Diskussionen um Cuba auf die Seite der froh erwartungsvollen Fidel Castro-Gegener schlägt, muss wissen, dass er damit auch das Ende des karibischen Wohlfahrtsmodells Cuba unterstützt. Das tut weh, ist aber so. Wer die CubanerInnen und ihr Land wirklich unterstützen will, der sollte schleunigst darauf drängen, dass diesem Land endlich die Freiheit gegeben wird, selbst und souverän über seine Zukunft zu entscheiden, und nicht internationale Politik und multinationale Konzerne darüber entscheiden zu lassen. Und souverän heißt auch: eine Entscheidung für den Sozialismus zu akzeptieren! Und davon können wir bei den gegenwärtigen Kommentaren der grossen freiheitlichen Presse und politischen Institutionen weiß Gott nicht ausgehen.