Fachtagung: 100 Jahre Walter Benjamins „Kapitalismus als Religion‟

Vor 100 Jahren schrieb Walter Benjamin sein kleines Textfragment „Kapitalismus als Religion‟. Er dachte darin über die Verschuldungs- und Schuldmechanismen des Kapitalismus nach und stellte die Frage, wieso der Kapitalismus eine solche Beharrungskraft und Zustimmungsfähigkeit entwickeln konnte. Seine Antwort: „Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben.‟ Obwohl sich Benjamins Perspektive aus den Erfahrung am Vorabend des deutschen Faschismus speist, haben seine Fragen auch die BefreiungstheologInnen bewegt: Wie ist der Kapitalismus beschaffen und wie prägt er unsere gegenwärtige Welt, in welchem Verhältnis stehen Christentum und Kapitalismus und welche Rolle kann die Religionskritik in der Analyse und Kritik des Kapitalismus spielen?

In einer internationalen Fachtagung wollen wir der immer drängender werdenden Frage nachgehen, worin die stählerne Kraft des Kapitalismus besteht und wo nach Auswegen aus dem „Haus der Verzweiflung‟ zu suchen wäre.

Die Video-Dokumentation der Tagung kann auf Deutsch und Spanisch online hier abgerufen werden.

 

Programm:

Freitag, 29.10.2021:

17.00 Uhr: Michael Löwy (Frankreich): Über den Zusammenhang befreiungstheologischer Götzenkritik und Benjamins These vom Kapitalismus als Religion

19.00-20.30 Uhr: José Antonio Zamora (Spanien): Die Zeit des Kapitals und ihre messianische Unterbrechung

 

Samstag, 30.10.2021:

9.00-11.00 Uhr: Panel I

Schuldbegriff, perpetuum mobile und Unterbrechung in Benjamins Kapitalismusverständnis

Der Verschuldungsbegriff als „materielle Repräsentanz des allgemeinen Reichtums‟ spielt in Benjamins Kapitalismusbeschreibung eine herausragende Rolle und ist zugleich eng mit der Vorstellung von (gesellschaftlich notwendiger) Zeit in der marx’schen Werttheorie verbunden. Wie aber steht es um die konkrete, endliche Lebenszeit der Menschen, die nicht der abstrakten Verwertbarkeit unterworfen ist?

José Antonio Zamora (Spanien)/ Kuno Füssel (BRD)/ Ottmar John (BRD)

 

11.30-13.30 Uhr: Panel II

Zum Subjektbegriff: Schuld – Verschuldung – Übermensch

Benjamins Schuldbegriff ist nicht auf eine rein ökonomische Kategorie beschränkt. Es geht vielmehr darum zu zeigen, dass diese ökonomische Schuldenlogik sich auch in eine anthropologische, gesellschaftliche und moralische Verschuldungslogik ausweitet, die Benjamin als scheinbare Auswegslosigkeit im Bild des „Haus der Verzweiflung‟ beschreibt und warum er glaubt, dass weder die philosophische Figur des Übermenschen von Nietzsche, noch ein in gewissem Sinne vulgär verstandener historischer Materialismus aus dieser Krise herausführen können.

Julia Lis (BRD)/ Andreas Hellgermann (BRD)/ Alberto Moreira (Brasilien)

 

15.30-17.30 Uhr: Panel III

Zum Religionsbegriff bei Walter Benjamin

Nichts ist so umstritten wie der Religionsbegriff in diesem kurzen Fragment von Walter Benjamin. Geht es hier um christliche Religion, Religion überhaupt als „falsches Bewusstsein‟ oder hat er auch eine positive Vorstellung von Religion? Was meint Benjamin mit der These, dass der Kapitalismus das Christentum vernichtet hat und dieses eigentlich gar nicht mehr braucht, weil er die Bedürfnisse des Menschen durch und durch aus sich selbst heraus befriedigen kann?

Dick Boer (Niederlande)/ Michael Brie (BRD)/ Michael Ramminger (BRD)

 

18.00-20.00 Uhr: Panel IV

Messianische Unterbrechung oder Transformation

Die ewige Spirale der Verschuldungslogik des Kapitalismus lässt wenig auf eine Veränderung zum Guten hoffen. Viel eher scheint bei Benjamin alles auf eine Zerstörung von Natur und Menschheit hinauszulaufen. Wenn bei ihm überhaupt eine Hoffnung aufscheint, dann am ehesten in der Hoffnung auf (messianische) Unterbrechung. Eine allmähliche Transformation in eine Welt der Vernunft, Humanität und Umweltbewahrung scheint er auszuschließen.

Alan Coelho (Brasilien)/ Carlos Angarita (Kolumbien)

 

Sonntag, 31.10.2021:

In zwei Diskussionsrunden wollen wir uns der Frage stellen, wo denn Auswege aus dem „Haus der Verzweiflung‟ zu suchen und zu finden wären. Dabei geht es einerseits darum, wie „totalitär‟ der Kapitalismus eigentlich ist und damit zusammenhängend, ob Benjamin das „Ende der Religionen‟ und ihr Verschwinden im Kapitalismus zutreffend beschrieben hat. Oder ob es nicht aus befreiungstheologischer Perspektive doch ein kritisch-befreiendes Potential von Religionen gibt.

 

9.30-10.30 Uhr: Panel V

Was wäre und wo treffen wir auf das Andere der kapitalistischen Vergesellschaftung? Teil 1

Thomas Rudhof-Seibert (BRD)/ Michael Ramminger (BRD)

 

11.00-12.00 Uhr: Panel VI

Was wäre und wo treffen wir auf das Andere der kapitalistischen Vergesellschaftung? Teil 2

Jörg Rieger (USA)/ Alberto Moreira (Brasilien)/ Julia Lis (BRD)

 

Mit freundlicher Unterstützung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung

 

 

Vorab zur Tagung ist folgender internationaler Sammelband bei Edition ITP-Kompass erschienen:

Kuno Füssel/ Michael Ramminger (Hg.): Kapitalismus: Kult einer tödlichen Verschuldung. Walter Benjamins prophetisches Erbe

Edition ITP-Kompass, Bd. 34, Münster 2021 , ISBN: 9783981984583, 364 Seiten, 22,80 €

Bestellbar unter: buecher@itpol.de