Blockupy – Widerstand im Herzen des europäischen Krisenregimes

Am Samstag fand in Frankfurt die Demonstration gegen die europäische Krisenpolitik statt. Noch fehlen uns die Worte, all das zu kommentieren, was wir am Samstag in Frankfurt erlebt haben. Unter unseren Freunden sind einige Verletzte, viele die im Kessel waren. Für uns haben sich die Worte des Staatsjuristen Carl Schmitt bestätigt: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt. Die Polizei hat den Ausnahmezustand auf Bitten der Politik und der Interessen der Banken verhängt. Demokratie war ausgesetzt. Das Merkel-Regime zeigt sein wahres Gesicht.

Aber wir haben uns nicht unterkriegen lassen! Die Stimmung blieb gut, die Gewalt der Polizei lief ins Leerre und wird gegen sie zurückschlagen. „Habt Mut zu kämpfen, habt Mut zu siegen“ empfahlen uns die italienischen Freunde. Gerade findet hier in Münster eine Demonstration gegen die Polizeigewalt statt. Unter Begleitung von hochgerüsteter Polizei -quasi wieder ein Kessel. Anbei dokumentieren wir einen offenen Brief von Teilnehmer_innen der Demonstration in Frankfurt:
So war es nicht!
Offener Brief gegen die Ausgrenzung gesellschaftlicher Opposition durch
Polizei und Teile der Medien

Wir, politisch und sozial aktive Menschen aus dem Rhein-Main-Gebiet und
TeilnehmerInnen der Demonstration des Blockupy-Bündnisses am 01.06.2013
in Frankfurt am Main, sehen uns angesichts der Darstellungen der Polizei
und ihrer teilweise immer noch unkritischen Verbreitung zu einer
Stellungnahme veranlasst.

Wir widersprechen den Klischees, wonach die Polizei durch einige
„Chaoten“ und „Randalierer“ gezwungen gewesen sei, Maßnahmen zur
Herstellung von öffentlicher Ordnung, Gesetz und Sicherheit zu
ergreifen. Auch wenn sich erfreulicherweise einige Tageszeitungen diesem
Tenor nicht anschließen, entsteht vor allem durch Verlautbarungen der
Polizei und deren unkritische Verbreitung in Teilen der Öffentlichkeit
doch wieder dieses Bild. Aber es entspricht nicht den Tatsachen.Wir, die
VerfasserInnen und UnterzeichnerInnen dieses Briefes, haben an
unterschiedlichen Orten an der Demonstration teilgenommen und über
Stunden das Geschehen direkt verfolgt und teilweise dokumentiert.

Wir halten fest:
-Der „schwarze“Block war bunt.
-Die „Vermummung“ bestand vor allem aus Sonnenbrillen und Regenschirmen.
-Der unmittelbare Vorwand der Einkesselung von über 1000 Personen über
insgesamt 9 Stunden war das Abbrennen von 3 bengalischen Feuern.
-Der Vorwurf der „passiven Bewaffnung“ ist aberwitzig und – wie Urteile
aus Berlin bereits zeigen – unendlich dehnbar. Schon der Ausdruck
„passive Bewaffnung“ verdreht die Tatsachen: ein Styropor-Schild
beispielsweise ist ein Schutz, keine Waffe.
-Im Blockupy-Bündnis bestand erklärtermaßen Konsens, dass von den
DemonstrantInnen keine Eskalation ausgehen sollte – entsprechend
verhielten sich die DemonstrantInnen, und zwar sowohl außerhalb wie
innerhalb des Polizeikessels.
-Dagegen war das Verhalten vieler PolizistInnen in hohem Maße
übergriffig und unmittelbar körperverletzend.
-Polizeitrupps sind mehrfach (wie auch schon am Vortag) in die stehende
Menschenmenge hineingestürmt und haben DemonstrantInnen überrannt und
niedergeworfen.
-Vor unseren Augen ist Menschen ohne Vorwarnung, ohne Beteiligung an
einer Rangelei o.ä. und ohne, dass eine Gefahrensituation vorgelegen
hätte, Pfefferspray aus unmittelbarer Nähe direkt ins Gesicht gesprüht
worden (über die Erblindungsrate der Pfefferspray-Wirkung wird derzeit
diskutiert).
-Vor unseren Augen sind wehrlose DemonstrantInnen misshandelt worden,
indem ihnen bspw. der Kopf nach hinten gezogen und Mund und Nase
zugehalten worden ist. Einige brachen daraufhin zusammen. Sie sind nur
Dank der Initiative von TeilnehmerInnen der Demonstration versorgt worden.
-Vor unseren Augen ist Menschen, die an Armen und Beinen zur
Personalienfeststellung davon getragen wurden, von den sie tragenden
Polizisten in die Seite und in den Unterleib getreten worden.
-Vor unseren Augen wurde Menschen der Hals verdreht und die Arme verrenkt.
-Vor unseren Augen erhielten Menschen, die sitzenblieben, als sie von
der Polizei aufgefordert wurden, aufzustehen, ohne Vorwarnung
Faustschläge mit Protektorenhandschuhen ins Gesicht.
-Die so vorgehende PolizistInnen waren vermummt und insgesamt gibt es
weder Namens- noch Nummernkennzeichnungen, so dass weder die Betroffenen
noch wir als ZeugInnen die Möglichkeit hatten, diejenigen PolizistInnen
zu identifizieren, die brutale körperliche Gewalt gegen Personen
offenbar für ihre Dienstaufgabe halten.

Es geht hier nicht nur um das Recht auf freie Meinungsäußerung und
Demonstration. Darüber hinaus geht es um das Recht auf körperliche
Unversehrtheit derjenigen, die sich für gesellschaftliche Veränderungen
engagieren und demonstrieren. Auf der Demonstration insgesamt, und
insbesondere unter den betroffenen Eingekesselten und Verletzten, finden
sich viele junge Menschen, jene also, die bekanntermaßen von den
aktuellen sozialen Entwicklungen in Europa (Stichwort
Jugendarbeitslosigkeit) besonders hart getroffen sind. Diese jungen
Menschen – und mit ihnen viele andere Demonstrierende – auf das Klischee
der irrationalen Störer zu reduzieren, ist nicht nur konkret
unangemessen, es ist insgesamt politisch fahrlässig. Es verunglimpft
Menschen, die sich um die krisenhaften Entwicklungen in unseren
Gesellschaften in Europa sorgen und die sich deshalb engagieren. Und es
behindert und diffamiert die dringend notwendige gesellschaftliche
Debatte über eine Neuausrichtung der europäischen Politik in der
Perspektive sozialer Partizipation und demokratischer Inklusion.

Dr. Stefanie Hürtgen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für
Sozialforschung Frankfurt am Main, Lehrbeauftragte und Dozentin.
Dr. Isolde Ludwig, Mitarbeiterin des DGB-Bildungswerks Hessen.
Dr. Thomas Sablowski, Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse
der Rosa Luxemburg Stiftung.
Dr. Nadja Rakowitz, Geschäftsführerin des Vereins demokratischer
Ärztinnen und Ärzte.
Kirsten Huckenbeck, Redakteurin und Lektorin, Lehrbeauftragte an der
Fachhochschule Frankfurt am Main, Bildungsreferentin.
Dr. Margit Rodrian Pfennig, Universität Frankfurt am Main.
Michael Hintz, Buchhändler und Lehrbeauftragter an der Europäischen
Akademie der Arbeit und der Fachhochschule Frankfurt am Main.
Michael Burbach, Frankfurt.
Kristina Weggenmann, Diplompädagogin
Dr. Bernhard Winter, Mitglied des Vorstands des Vereins demokratischer
Ärztinnen und Ärzte.
Ralf Kliche, Lehrer an der Schule für Erwachsene Dreieich.
Dr. Jürgen Behre, Maintal.
Martin Dörrlamm, Sozialarbeiter Frankfurt am Main.
Edgar Weick, Frankfurt am Main.
Hagen Kopp, Aktivist der Gruppe „kein mensch ist illegal“, Hanau.
Katharina Vester, Frankfurt am Main