Geflüchtete als Störung?

Entrechtung als Teil rechter Normalisierung

von Julia Lis

Gegen die BetreiberInnen der Oxford-Kaserne, einer ehemaligen Notunterkunft für Geflüchtete in Münster, sind schwere Vorwürfe bekannt geworden: Auf dem Münsteraner Blog „Die Wiedertäufer“ berichten ehemalige MitarbeiterInnen von einem „Störzimmer“, in das Geflüchtete gesperrt wurden, die gegen die Hausordnung verstießen, unbequem waren, Forderungen stellten. Sie wurden dort von den anderen BewohnerInnen isoliert, ein Mitarbeiter des Wachdienstes wurde vor der Tür positioniert.

Diese Vorwürfe erinnern an das sog. „Problemzimmer“ in der Flüchtlingsunterkunft Burbach, wo es allerdings noch zu viel massiveren Vorfällen von Misshandlungen und Gewalt kam, als dies bislang aus Münster bekannt wurde. Trotzdem oder gerade deswegen verweisen die bekannt gewordenen Vorfälle in Münster auf ein generelles und grundsätzliches Problem: Wenn bereits in einer sich als migrationsfreundlich und von Wilkommenskultur geprägten, liberalen Stadt wie in Münster MitarbeiterInnen und BetreiberInnen von Flüchtlingsunterkünften in solcher Weise mindestens psychische Gewalt gegen geflüchtete Menschen anwenden und diese selbst für nicht justiziable Delikte mit Freiheitsentzug eigenmächtig bestrafen, dann macht das unmissverständlich deutlich, wie weit die Entrechtung von Geflüchteten bereits fortgeschritten und Teil einer rechten Normalisierung geworden ist.

„Sag Nein zu Xenophobie“, Harold Cressy High School, Kapstadt. (Foto: HelenOnline, CC BY-SA 4.0). Foto von medico.de

Bezeichnend ist in diesem Kontext auch ein Dokument, „Dienstanweisung zum Umgang mit Störern“, das der Wiedertäuferblog ebenfalls veröffentlichte und das als Grundlage für die Praxis des „Störzimmers“ gedient haben soll. Dort heißt es „eine Diskussion mit dem Störer ist selten zielführend und sollte vermieden werden“. Die Möglichkeit einer zivilen Form der Konfliktbearbeitung, im Sinne eines Gesprächs, das das Gegenüber nicht gleich als Störungsquelle, die zu eliminieren ist, weil sie ein effizientes Management der Abläufe verhindert wahrnimmt, sondern in den Dialog zu gehen versucht, wird hier von vorneherein als nicht „zielführend“ ausgeschlossen. Das führt zu der Frage, welches Ziel hier eigentlich vor Augen steht und damit zur grundsätzlichen Problematik solche Unterbringungseinrichtungen: Geflüchtete werden hier zentralisiert untergebracht und damit zugleich gesellschaftlich isoliert. Eine solche Form der Unterbringung von Menschen, die teilweise durch schwere Gewalterlebnisse im Herkunftsland oder auf der Flucht traumatisiert sind, aus sehr unterschiedlichen Kontexten kommen und sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Organisation von Zusammenleben haben, muss zwangsläufig zu Spannungen und Konflikten führen. In der Logik des Managements der Geflüchteten ist dafür aber kein Platz. Wer Probleme macht, wird selber zum Problem, zur Störung, die behoben werden muss, notfalls unter Aufwendung von disziplinierender Gewalt. Ein solches Menschenbild, ein solcher Umgang mit Menschen, die sich in einer Situation der Schwäche und struktureller Abhängigkeit befinden, erinnert nicht zufällig an die dunkelsten Zeiten Schwarzer Pädagogik, wie sie in der Diskussion um Heimerziehung oder psychiatrischen Vollzug seit den 1970er Jahren breit thematisiert wurde.

Dass dennoch ein solcher Umgang mit Geflüchteten heute denkbar ist – nicht als Regelübertritt einzelner verantwortlicher Personen, sondern als eine strukturelle Maßnahme, die in einer Einrichtung systematisch Anwendung findet – zeigt, welche dramatischen Folgen zum einen der gesellschaftliche Umgang mit Geflüchteten und zum anderen die zunehmende Durchsetzung der Unterbringung in Lagern hat. Seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ von 2015, die wohl zutreffender als „Rassismuskrise“ zu bezeichnen wäre, hat sich ein Diskurs etabliert, der in Menschen, die vor Klimawandel, Perspektivlosigkeit oder Krieg fliehen, vor allem Problemfälle sieht, die den gesellschaftlichen Normalbetrieb „stören“. Geflüchtete sind in dieser Logik zu isolieren, nach ihrer Nützlichkeit und Verwertbarkeit zu klassifizieren, und, wenn diese nicht erwiesen ist, schnellstmöglich abzuschieben. Das gleiche gilt insbesondere dann, wenn sie noch Probleme verursachen, weil sie „renitent“ erscheinen oder gar straffällig werden.

Die Logik einer Lagerunterbringung passt hierzu perfekt: Geflüchtete werden vom Rest der Gesellschaft isoliert und in ein geschlossenes System eingegliedert, indem sie verwaltet werden und lernen sollen, dass sie keine Ansprüche zu stellen, sondern zu warten haben, wie weiter mit ihnen verfahren wird. Im günstigsten Fall erwerben sie den Anspruch, sich in der untersten Position in eine Konkurrenz- und Marktgesellschaft einzugliedern, die Erlaubnis einer Lohnarbeit nachzugehen, scheint als höchstmögliches Ziel. Die Botschaft, die dadurch vermittelt werden soll, ist klar und deutlich: Sie sollen froh sein, arbeiten zu dürfen, egal unter welchen Bedingungen und zu welchen Löhnen. Im ungünstigeren Fall war für sie ihr ganzer Weg umsonst, sie landen im Verschiebebahnhof des Dublinsystems, wandern jahrelang perspektivlos durch Europa oder müssen gar dorthin zurück, wo sie die Lebensumstände zum Gehen zwangen. Diese Isolation, die der Abschreckung, Disziplinierung und der Entrechtung dient, versinnbildlicht das Lager und innerhalb des Lagers das Störzimmer, das der gleichen Logik des Problemmanagements folgt.

Diese systematische Entrechtung von Menschen in unserem in Sonntagsreden von PolitikerInnen viel gerühmten „Rechtsstaat“ geschieht nicht nur im Feld von Flucht und Migration. Dies wird deutlich, wenn trotz des entgegengesetzten Urteils des Bundesverfassungsgerichts Hartz IV Leistungen weiter um mehr als 30% unter das Existenzminimum gekürzt werden sollen. Man mag sich zu Recht über solche Formen der Entrechtungen empören, weil sie an den Schwächsten in der Gesellschaft, von denen die geringste Gegenwehr zu erwarten ist, durchexerziert werden. Man sollte darüber aber nicht vergessen, dass diese Entrechtungen auch die beunruhigende Frage an uns alle aufwerfen, wie und in welcher Gesellschaft wir leben wollen: in einer, in der Menschenrechte und Menschenwürde universal und damit für jeden gelten, weil sie am Anspruch der Gleichheit und Freiheit aller festhält oder in einer, die den Wohlstand der wenigen, auf Kosten der vielen absichern will, notfalls auch durch Aufhebung der Rechte einiger. Wenn wir dieser Entrechtung entgegentreten wollen, auch weil wir als ChristInnen glauben, dass die universale Gleichheit aller Menschen den Vorrang haben muss, dann ist es höchste Zeit zu handeln!