Warum verlangen sie von uns, bis in den Tod friedlich zu bleiben?

Luisa Toledo kommentiert ihr Foto mit der Gasmaske: „Ich bin eine Befürworterin der Gewalt! Ich bin absolut eine Befürworterin der Gewalt. Wenn ich das nicht wäre, würden sie uns wieder verprügeln, und sie würden uns wieder töten und uns wieder einsperren und uns wieder verschwinden lassen. Warum verlangen sie von uns, bis in den Tod friedlich zu bleiben? Warum wir? Warum können wir nicht Gewalt gegen sie anwenden? Also bittet mich nicht, friedlich zu sein. Ich werde nie friedlich sein! Ich werde nie friedlich sein….. Der März kommt (Dia del joven combatiente) und meine Kinder kommen wieder zu mir… Ich sehe Rafaels Lächeln im Gesicht jeden Kindes, jedes Jugendlichen, der hinausgeht, um zu kämpfen, die Gelassenheit von Pablo, Eduardos Beredsamkeit. Das bin ich, Companeros“.

Die Frau, die auf dem Foto mit der Gasmaske zu sehen ist, heißt Luisa Toledo. Sie stammt aus dem Armenviertel und der christlichen Basisgemeinde Villa Francia in Santiago de Chile. Luisas drei Söhne, alle Mitglieder im MIR, wurden 1985, bzw. 1988 während der Diktatur ermordet. Jedes Jahr am 29. März wird ihrer am Tag des „kämpferischen Jugendlichen“ (Dia del Joven Combatiente) in den Armenvierteln mit Demonstrationen, Veranstaltungen und Rebellionen gedacht. Wir

Beerdigung der Söhne Rafa und Eduardo

haben Luisa noch im September besucht und mit ihr über ihr -trotz schwerer Krankheit- anhaltendes Engagement für Menschenrechte und Gerechtigkeit gesprochen. Es gibt nicht viele Menschen, die einen so nachhaltig wegen ihres unerschütterlichen Engagements beeindrucken, wie Luisa und ihr Mann. Gestern bekamen wir das Foto von ihr und ihrer Reflexion zur Gewalt auf der Straße, die 2017 entstanden und heute inmitten der gegenwärtigen Auseinandersetzungen Chiles im Kampf gegen die Verfassung und gegen neoliberalen Kapitalismus neue Aktualität gewinnen. Inzwischen gibt es weit über dreißig Tote, tausende Verletzte, unzählige Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei. Gestern sagt General Enrique Barssaletti zum Waffeneinsatz gegen die Demonstrierenden: Das sei wie bei einer Chemotherapie, man treffe dabei zwangsläufig auch gesunde Zellen, nicht nur kranke.

Michael Ramminger