Rezension zu „Künstliche Intelligenz oder kritische Vernunft“

In der Zeitschrift „rabs – religionsunterricht an berufsbildenden schulen – 3/2020“ ist eine Rezension von Stefan Lemmermeier zu unserem kürzlich veröffentlichten Buch „Künstliche Intelligenz oder kritische Vernunft“ erschienen.

Künstliche Intelligenz oder kritische Vernunft – Wie Denken und Lernen durch die Digitalisierung grundlegend verändert werden

aus: rabs – religionsunterricht an berufsbildenden schulen – 3/2020, S. 28

Stefan Lemmermeier

„Im Silicon Valley, im Herzen des digitalen Kapitalismus, gibt es Schulen, die völlig ohne Digitalisierung auskommen – und auf diese Schulen schicken die Manager und CEOs der großen Konzerne ihre Kinder.“ (S. 26)

Gleich vorneweg:

Der klassische Dreischritt einer Rezension, Einleitung – Überblick über das Werk – Bewertung und Relevanz für die Leserschaft ist nie ganz frei von einer persönlichen und kontextuellen Brille und von daher bekenne ich ganz offen, dass ich mit Freude wahrgenommen habe, dass die Befreiungstheologie mal wieder an die Oberfläche kommt, und dies mit einem zunächst überraschenden Thema: der Digitalisierung. Der Titel „Künstliche Intelligenz oder kritische Vernunft – Wie Denken und Lernen durch die Digitalisierung grundlegend verändert werden“ macht klar, dass hier eine große und grundlegende Fragestellung in Angriff genommen wird.

In der Einleitung zeigt die AutorInnengruppe (Arbeitskreis Religionslehrer_innen im Institut für Theologie und Politik) offen ihre Motivation: Aus der jüdisch-christlichen Tradition der Befreiung heraus stellen sie sich dem Anspruch der befreienden Pädagogik Paulo Freires, nämlich Normen und Ziele zur Emanzipation der Subjekte offenzulegen – im Widerspruch zu einer zumindest behaupteten Verschleierung von Herrschaftsinteressen.

Der Durchgang durch die Kapitel spiegelt den Denkweg der AutorInnengruppe wider. Nach der Einleitung, die auszugsweise durchaus als provokativer Einstieg bei Oberstufenklassen geeignet ist, kommt die Digitalisierung im Bildungskontext (2. Von der neoliberalen Schule zum DigitalPakt) in den Blick.

Kapitel 3 „Ein Ausflug in die Ökonomie“ wirft die Fragestellung der Polarität des Internets als Freiheitsversprechen vs. neuem Unterdrückungsmodell auf und stellt die Herausforderungen an „das neue Subjekt“ dar.

Im Kapitel 4 „Der Vormarsch der Digitalisierung“ wird auf dem Hintergrund der Macht von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz zur selbstbewussten Nachfolge des Jesus von Nazareth statt zu blindem Follower-Wesen aufgerufen.

Kapitel 5 „Digitalisierung des Lernens“ bringt ökologische Aspekte mit in den Diskurs ein und warnt vor dem Vorherrschen den Nützlichkeitsparadigmas.

Kapitel 6. „Digitalisierung im schulischen Alltag“ schildert ökonomische Interessen und Konsequenzen der Digitalisierung für Kinder und Jugendliche, Unterricht und Lerninhalte, LehrerInnen und gerechte Bildungszugänge.

Kapitel 7. „Was ist zu tun?“ ruft mit zehn Desideraten dazu auf, Sand im Getriebe zu sein.

Im Kapitel 8 „Anhang“ werden die LeserInnen auf eine kleine Zeitreise vom Abakus hin zum DigitalPakt genommen, und es wird ein hilfreiches Glossar wesentlicher Begriffe geboten mit anschließender Vorstellung des Arbeitskreises Religionslehrer_innen und einer Auswahl an weiterführender Literatur.

Mein subjektiver, persönlicher Eindruck meiner Biografie vom Kindergarten durch die verschiedenen Schularten hindurch zeigt: Waren die ReligionspädagogInnen und ReligionslehrerInnen früher Garanten für einen starken Einsatz analoger Medien, so steigt mit dem Digitalisierungsgrad in der Bildung die notwendige Herausforderung, nicht nur Nutzer und Präsentator von Medien zu sein, sondern auch kritischer Freund und Begleiter, der allen Beteiligten hilft auf ihrem Weg zur Subjektwerdung.

Dem vorliegenden Buch ist in diesem Sinne eine fruchtbare und zum verantwortungsbewussten Austausch anregende Lektüre durch EntscheidungsträgerInnen im Bildungswesen, in Staat und Kirche, durch duale Partner und KollegInnen zu wünschen – auszugsweise sicher auch durch OberstufenschülerInnen.

Stefan Lemmermeier