Aufruf der ‚Nußdorf-Gemeinde‘ zur Friedensproblematik
Die „Nußdorf-Gemeinde“ ist eine Gruppe von etwa 25 Personen aus dem Kreis der Betriebsseelsorge und KAB, die seit über 30 Jahren regelmäßig in Nußdorf/Attersee mit dem Theologen und Mathematiker Kuno Füssel Leben und Glauben biblisch reflektiert. Stellvertretend: Kuno Füssel, Hubert Gratzer, Hans Gruber, Monika Pointner, Elisabeth Schatz, Anna Wall-Strasser.
mail: wastra@aon.at
I. Gefährdungen und Verhinderungen des Friedens – aktuelle Bestandsaufnahme
Das Wort von der Zeitenwende hat eine ungeahnte und bestürzende Bedeutung bekommen. Aus Regierungserklärungen und politischen Debatten tönt uns unverhohlen die Überzeugung entgegen, dass der Aufbau von Kriegsfähigkeit und die damit verbundene Aufrüstung das Gebot der Stunde sind.
Ausgehend von den USA unter Trump kennzeichnet eine gigantische Aufrüstung, gefolgt von einem brutalen Sozialabbau die momentane Entwicklung in vielen Volkswirtschaften (vgl. z.B. die BRD). Der Kapitalismus setzt auf Kriegswirtschaft, um auf Gedeih und Verderb sein Überleben zu sichern. Anstelle einer auf dem Völkerrecht aufbauenden internationalen Ordnung droht die militärische Macht des jeweils stärkeren Staates zum maßgeblichen Faktor der internationalen Politik zu werden. Die Kriege gegen die Ukraine und in Gaza sind dafür erschütternde Belege. Wachsender Nationalismus im Verbund mit ungehemmter Gier nach Rohstoffen überziehen wie eine Seuche den ganzen Planeten.
Wenn vor diesem Hintergrund uns aus der Politik und den Mainstream-Medien eine vor Jahren noch undenkbare Rechtfertigung des Krieges als unumgängliche Möglichkeit der Konfliktlösung aufgedrängt wird, dann müssen wir den Mut haben, entschieden dagegen zu halten, denn Zynismus und Dummheit machen vergessen, was Krieg ist und war und in Zukunft noch schlimmer werden wird. Durch den Krieg, und zwar jeden Krieg und überall, werden die ansonsten so oft und gerne beschworenen ethischen Grundorientierungen und Werte der menschlichen Gesellschaft endgültig zu Grabe getragen. Was kein Mensch in Friedenszeiten darf und zu Recht unter Strafe steht, wird ihm im Kriegsfall sogar befohlen: Andere Menschen zu töten.
Das Recht auf Leben und sein Schutz sind Höchstwerte der Verfassungen der meisten modernen Demokratien. Diese Erkenntnis wird derzeit international mit Täuschungen und unsäglichen Verdrehungen ausgetauscht gegen die Pflicht, sein Leben und das von anderen für die Interessen eines Staates oder eines Staatenbündnisses wie z.B. bei uns der NATO zu opfern.
Diese Umwertung aller Werte macht den Krieg nicht nur zur ultimativen Bedrohung jeglicher Moral, sondern von Sinn und Würde des menschlichen Lebens überhaupt. Fast täglich wird uns mit allen verfügbaren Mitteln/Medien als höchste Bürgerpflicht eingeschärft, diese tödliche Vernunftlosigkeit zu erdulden zu akzeptieren oder gar bewusst mitzutragen.
Wie lange noch wollen wir das hinnehmen?
II. Elemente einer prophetischen und jesuanischen Friedensethik
Dagegen setzen wir eine apodiktische Ablehnung jeden Krieges. Eine Begründung dafür können wir mit Hilfe einer aufgeklärten Vernunft ebenso finden wie durch eine Vergewisserung der Grundlegung eines umfassenden Friedens in den Traditionen der Bibel:
a) die radikale Forderung der Propheten zur Friedenssicherung durch Gerechtigkeit
b) die Entfaltung der Konzeption des <Shalom>
c) die Praxis und Lehre des Messias Jesus, die in dem doch oft mit Kopfschütteln quittierten Gebot der Feindesliebe gipfelt.
Wir folgen nicht in allem der traditionellen christlichen Friedensethik, da wir die „Lehre vom gerechten Krieg“ für überholt und auch den Übergang zu einer „Lehre vom gerechten Frieden“ für ergänzungsbedürftig halten. Mit großer Zustimmung aber schließen wir uns den Stellungnahmen der Päpste zur Verurteilung des Krieges an , von Pius XII. bis Franziskus und auch jüngst Leo XIV. und hoffen, dass sie sowohl von den Gläubigen als auch von allen Menschen guten Willens nicht nur gehört, sondern auch befolgt werden. Die Verlautbarungen der Päpste schöpfen ausdrücklich aus den drei eben genannten Quellen einer Schaffung des Friedens, die kurz ins Gedächtnis gerufen werden sollen.
a) Um die Tradition der Propheten ausdrücklich ins Bewusstsein zu heben, möchten wir vor allem auf Texte des Propheten Jesaja verweisen. So heißt es ausdrücklich in Jes 32, 17:
„Die Wirkung der Gerechtigkeit wird Friede sein, die Frucht des Rechtes ewige Sicherheit.“ Als Grunderkenntnis bei Jesaja darf festgehalten werden, dass der Nährboden eines umfassenden und alle Dimensionen des menschlichen Daseins durchdringenden Friedens, die Gerechtigkeit ist. Diese Gerechtigkeit betrifft vor allem das Wirtschaftssystem und die Ächtung jeglicher Ausbeutung. Der Friede ist die Frucht der Gerechtigkeit und somit seine notwendige Bedingung.
Papst Franziskus hat diese Erkenntnis in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag am 1.1.2020 so formuliert: „Es wird nie einen wahren Frieden geben, wenn wir nicht in der Lage sind, ein gerechteres Wirtschaftssystem aufzubauen.“
Diese prophetische Tradition ist auch literarisch gegenwärtig in den Psalmen, wenn es z.B. in Psalm 85,11 heißt: „Begegnen werden sich Erbarmen und Treue, Gerechtigkeit und Frieden küssen sich.“
b) Die zentrale gegen das Kriegsgeschrei aller Zeiten in der biblischen Tradition ertönende Melodie des Friedens hat einen Namen: <Shalom>, dessen Bedeutungsfülle kaum in unsere deutsche Sprache übertragbar ist.
Unser Wort <Friede> ist allzu sehr in seiner Bedeutung immer noch gebunden an die Abwesenheit von Krieg. <Shalom> meint dagegen eine lebensfördernde und erhaltende Ordnung der Welt im umfassenden Sinne. Im < Shalom> sagt Gott dem Menschen die Möglichkeit zu, frei und selbstbestimmt seine Einmaligkeit , die jeder Mensch hat, in allen Dimensionen seines Daseins – sozial, politisch, rechtlich und kultisch – zu leben. Nichts anderes wollen auch die Menschenrechte in ihrer Sprache sagen. Der <Shalom> wird denen zugesagt, die an der Überwinung von Ungerechtigkeit arbeiten. Versöhnung heißt dann mehr, als dass endlich die Waffen schweigen, sondern dass begangenes Unrecht wieder gut gemacht wird und nicht nur Wiederaufbau, sondern echter Neubeginn stattfindet.
Der ganze Reichtum dieses Begriffs offenbart sich noch einmal in seiner Version als Gruß, den er mit dem arabischen <salam aleikum> teilt, in dem anderen bewusst Segen zugesprochen wird.
c) Jesus steht in der Tradition des Jesaja, entwickelt sie weiter und spitzt sie zu mit seinen in der Bergpredigt (Mt 5-7) und in der Feldrede (Lk 6) überlieferten Forderungen zur Überwindung von jeglicher Gewalt. Sie ist verbunden mit seiner Seligpreisung der Friedenstifter, aber auch der bis heute am meisten kommentierten Aufforderung zur Feindesliebe (vgl. Mt 5, 44-48). Vor allem dieses Gebot scheint uns alle zu überfordern, doch genau besehen packt es in entscheidender Weise das Übel bei der Wurzel. Wir alle erleben täglich, wie durch die Konstruktion und Propagierung von Feindbildern der Hass seine Nahrung erhält. Dagegen verlangt das Gebot der Feindesliebe, den Gegner als einen, einem selbst gleichwertigen Menschen, mit entsprechenden Bedürfnissen und Lebenszielen anzuerkennen. Gerade wenn der Feind in Not gerät, werden wir angewiesen, unsere wahre Größe dadurch zu beweisen, dass wir ihm helfen (vgl Röm 12, 19-20).
III. Konsequenzen
„Wie wird Friede?“ – Dietrich Bonhoffer hat sich in seiner „Friedensrede“ von 1934 dieser Frage gestellt und die folgende Antwort gegeben: „Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Investierung internationalen Kapitals in den verschiedenen Ländern?….Oder gar durch eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens ? Nein, durch dieses alles aus dem einen Grunde nicht, weil hier überall Friede und Sicherheit verwechselt werden. Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit.“
Auf welchem Weg dann? Wir haben versucht, seinen Ursprung und sein Ziel sichtbar zu machen. Dabei wurde eine neue Gewissheit erreicht, die nicht zu verwechseln ist mit einem „himmlischen Gefühl“ der Sicherheit.
Friedensstifter brauchen einen klaren Verstand und einen unerschütterlichen Glauben. Sie müssen fähig sein, komplexe politische und ökonomische Situationen genau zu analysieren, aber auch bereit sein, sich ohne jegliches Wenn und Aber zu ihrer Grundüberzeugung zu bekennen. Diese gewinnen wir aus der Nachfolge Jesu, seiner Verheißung des Reiches Gottes und des Endes aller Gewalt und der Herrschaft von Menschen über Menschen.
Frieden braucht Mut. Der Krieg lebt von der Angst. Aus unserer demokratischen Grundhaltung heraus wollen wir – gegen alle Gleichgültigkeit und Ohnmacht – die öffentliche Auseinandersetzung mitgestalten. Wir sind nicht machtlos.
Seien wir daher mutig. Lasst uns umkehren und einen dauerhaften Frieden schaffen in Gerechtigkeit. Dazu brauchen wir unser ganzes Herz, unsere ganze Seele , unser ganzes Denken, also unsere ganze Kraft.