Die Tomate weiter werfen…

Bericht über eine Veranstaltungsreihe
Unter dem Namen „Feministischer Arbeitskreis ‚Schöner leben‘“ konstituierte sich zu Ende des Jahres 2007 eine Gruppe von sechs Frauen im Umfeld des Institut für Theologie und Politik und der attac-Regionalgruppe in Münster mit dem Ziel, sich an lokaler feministischer Bewusstseinsbildung zu beteiligen. Einige Monate traf sich die Gruppe, um sich über aktuelle Debatten und Publikationen im Bereich ‚Feminismus‘ zu informieren: Wir stellten uns z.B. gegenseitig die Bücher „Die neue F-Klasse“ von Thea Dorn oder „Alphamädchen“ von Meredith Haaf und die Debatten um den daran anschließenden ‚neuen Feminismus‘ in den Medien vor. Auf der anderen Seite diskutierten wir neue Publikationen z.B. des Feministischen Institut Hamburg (G. Winker, Melanie Groß: „Queer-/feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse“, Münster 2007) oder von Frigga Haug (Die Vier-in-Einem-Perspektive, Hamburg 2008). Aus diesen Diskussionen entstand die Idee, eine Veranstaltungsreihe zum Thema „neuer Feminismus“ und möglicher Kritik daran zu initiieren.
Im Ergebnis organisierten wir drei Veranstaltungen im April und Mai 2009, für die wir viele MitveranstalterInnen und UnterstützerInnen gewinnen konnten.

Am 28.04.2009 zeigten wir mit Unterstützung der Linse im Cinema den Film „Bread & Roses“, der unter Regie von Ken Loach im Jahr 2000 entstand. Er zeigt das Schicksal der illegalisierten mexikanischen Migrantin Maya, die in Los Angeles in einer Putzkolonne arbeitet und sich nach und nach politisiert und gewerkschaftlich organisiert, gleichzeitig aber dadurch auch in massiven Konflikt mit ihrer Schwester gerät. Der Film basiert auf den Erfahrungen der Gewerkschafts-Kampagne „Justice for Janitors“ in den USA und zeigt deutlich die Verquickung von sexistischer, rassistischer und sozialer Diskriminierung auf. Dies war uns ein besonderes Anliegen angesichts des neuen „Eliten-Feminismus“. Außerdem machte er die internationale Dimension des Themas deutlich.
Nach dem Film hatten wir im Restaurant des Cinema noch einen Tisch reserviert und diskutierten mit ca. 15 Leuten über das Gesehene und Parallelen in Deutschland.

Am 12.5.2009 luden wir die Politologin Stefanie Ehmsen (Berlin) zu einem Vortrag in der Stadtbibliothek ein. Sie referierte zum Thema „Ausverkauf des Feminismus? Von der Revolutionärin 1968 zur Gleichstellungsbeauftragten“. Nach einem pointierten ‚Durchlauf‘ der Referentin durch Entstehung und Entwicklung der Frauenbewegung in Deutschland seit 1968 entstand eine rege Diskussion unter den Teilnehmenden und mit der Referentin über Chancen und Grenzen von aktueller Gleichstellungspolitik, über Geschlechterverhältnisse und – rechtmäßig oder unrechtmäßig – verloren gegangene Ansprüche von Gesellschaftskritik aus feministischer Perspektive. Ganz grundsätzlich wurde über die Definition von „Feminismus“ oder „Frauenbewegung“ und ihre Aktualität diskutiert. Dabei wurden sehr kontroverse Positionen deutlich, die aber gut nebeneinander stehen gelassen werden konnten. Trotzdem konnte insgesamt unter den Beteiligten Konsens darüber festgestellt werden, dass es notwendig ist, Diskriminierung und immer noch verfestigte Rollenbilder sowohl öffentlich als auch innerhalb von Beziehungen zu thematisieren.

Am 25.5.2009 war die Soziologin Gabriele Winker (Feministisches Institut, Hamburg) zum Vortrag „Feministische Gesellschaftskritik in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise“ in das Café Weltbühne in der ESG eingeladen. Ihr Vortrag nahm die Wirtschaftskrise als Ausgangspunkt nahm, um den Ansatz der Intersektionalität, der von Gabriele Winker und ihren Kolleginnen zur Zeit entwickelt wird, vorzustellen. Dieser berücksichtigt vier Kategorien – Geschlecht, Körper, ‚Rasse‘ und Klasse, um Unterdrückung und Herrschaft auf drei Ebenen, nämlich Struktur, Repräsentation und Identität, zu beschreiben. An der TU Hamburg, an der die Referentin lehrt, wird dieses Modell anhand einer Studie zu Erwerbslosigkeit von einem Forscherinnenteam zur Zeit getestet.
Die anschließende Diskussion drehte sich viel um die Verbindung des theoretischen Anspruchs des Modells ‚Intersektionalität‘ mit konkreten politischen Notwendigkeiten, z.B. der Organisierung von feministischen Anliegen in Gruppen, Bündnisbildung und politischer Wirksamkeit. Angesichts der dominanten Interpretationen der Wirtschaftskrise und entsprechend konservativen Handlungsstrategien scheint zur Zeit wenig Spielraum für emanzipatorische Gesellschaftsveränderung zu existieren. Die Frage, wie konkret ein Aufbrechen dieser Dominanzen zur Zeit möglich ist, musste offen bleiben. Die Betrachtungsweise des intersektionalen Ansatzes, unterschiedliche Herrschaftsformen zusammen zu denken und doch als eigenständige zu verstehen, wurde jedoch von der Mehrheit als sehr nützlich für Perspektiven von Veränderung und neuen Strategien angesehen.

Von mehreren Seiten bekamen wir Anerkennung dafür, das Thema aufgegriffen und in Münster öffentlich diskutierbar gemacht zu haben, da es kaum kritische Veranstaltungen dazu gibt. Durch die Suche nach Mitveranstaltenden ergaben oder vertieften sich Kontakte und es besteht das Interesse, weitere Veranstaltungen gemeinsam zu organisieren. Leider sind wir in Münster weit davon entfernt, (wieder!?) ein handlungsfähiges feministisch-politisches Bündnis auf die Beine zu stellen – die letzte spektrenübergreifende Vorbereitung des Internationalen Frauentags mit aussagekräftigen Protest-Aktionen fand 2005 statt. Von daher muss es im Moment bei solchen kleinen Projekten und Anstößen bleiben.