Der Kampf um Gerechtigkeit und Demokratie in Chile geht weiter

Bereits seit vier Wochen kommt es in Chile zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen Regierung, Polizei und Militär auf der einen, und immer größeren Bevölkerungsteilen auf der anderen Seite. Die Protestierenden fordern inzwischen u.a. eine von den Menschen selbst legitimierte verfassungsgebende Versammlung und den Rücktritt des Präsidenten. Gleichzeitig kommt es zu immer mehr Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei.

Am Freitag, den 08. November wurde Gustavo Adolfo Villarroel, 21 Jahre alt und Geschichtsstudent an der Universität Academia de Humanismo Cristiano auf einer Demonstration in Santiago de Chile mit mehreren tausend Menschen mit Gummigeschossen der Polizei beschossen. Auf einem Auge erblindete er sofort, das andere Auge versucht man im Krankenhaus zu retten. Er gehört zu den inzwischen 200 Menschen, die ihr Augenlicht durch gezielte Schüsse der Polizei verloren haben. Das Nationale Institut für Menschenrechte Santiago de Chile hat in den letzten zwanzig Tagen ungefähr 2300 Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen und Polizeigewalt entgegen genommen.

Zugleich geht der Kampf um eine demokratische Gesellschaft in Chile weiter. Der Präsident hat eine neue Verfassung angekündigt. Allerdings versucht er, einen verfassungsgebenden Prozess zu initieren, der weder seine Macht gefährdet, noch die Menschen einbezieht. Die Opposition dagegen fordert seinen Rücktritt, die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung mit VolksvertreterInnen und eine Abstimmung per Plebiszit.
Inzwischen scheint es so, dass sich die Auseinandersetzungen und Proteste auf der Strasse auch auf die Reichenviertel ausdehnen: Dort werden „Bürgerwehren“ eingerichtet. Andererseits streiken nun auch Angestellte öffentlicher Einrichtungen und die Flughafenangestellten. Ein chilenischer Freund ist der Auffassung, das auf jeden Fall der soziale und politische Widerstand in den Strassen aufrechterhalten und weitergetrieben werden muss, ein anderer, dass es ohne eine Ausweitung der Proteste in Streiks der ArbeiterInnen nur schwer zu einer erfolgreichen Umsetzung der Forderungen kommen kann.

Michael Ramminger