ChristInnen und Proteste im Neoliberalismus

Die letzten ca. 15-20 Jahre in der BRD waren geprägt vom Vormarsch des Neoliberalismus und seiner Ideologie der absoluten Alternativlosigkeit zu Markt, Konkurrenz und Privatisierung. Verschiedene Faktoren führten zu einer erheblichen Lähmung oppositioneller Kräfte, von Bewegungen, Gewerkschaften und auch Parteien.

In den neunziger Jahren schien die Rolle von Opposition auf Comanagement und Lobbying reduziert zu sein, später haben wir eine „Rehabilitation von Protest“ erlebt. Es gab eine Reihe von großen Demonstrationen gegen Sozialkürzungen, gewerkschaftliche Streiks gegen Arbeitsplatzvernichtungen etc.

Seit den G8-Protesten können wir möglicherweise von einer gewissen Plausibilität und Bereitschaft zu „Widerstand“ im Sinne zivilen Ungehorsams sprechen, wie die erfolgreichen und gerade auch von vielen jungen Menschen getragenen Blockaden in Heiligendamm gezeigt haben: Die Bereitschaft zum „Nein“ – oder spanisch „Ya Basta“ – scheint zu wachsen. In all diesen Phasen waren und sind ChristInnen und Kirchen in verschiedener Weise präsent gewesen. Allerdings in sehr unterschiedlicher Weise.

Die Kirchen, gefangen in vermeintlichem Überlebenskampf und beschäftigt mit Modernisierungs- und Neoliberalisierungsstrategien, suchen ihren Platz in der Gesellschaft, allzu häufig an der Seite der Mächtigen und nur mit halbherzigem Widerspruch zu der offenkundig in eklatantem Widerspruch zum Evangelium für die Armen stehenden Wirklichkeit. Oder, wie Franz Hinkelammert schreibt: „Sie sind gefangen in der Totalität des Nutzenkalküls.“ Auch die großen kirchlichen Nichtregierungsorganisationen haben sich allzu häufig der Logik des „Mitgestaltens“ verschrieben.

Im Gegensatz dazu gibt es eine Reihe von kleinen Initiativen, NGOs und Einzelpersonen, die sich in den Bewegungen und sozialen Kämpfen engagieren. Allerdings sind es sehr wenige und vor allem sind sie „unsichtbar“. Anders als in den Zeiten der Friedensbewegung oder der Solidaritätsbewegung in den siebziger und achtziger Jahren sind sie in diesem Sinne kein öffentlicher Teil der sozialen Bewegungen.

Eine politisch-theologische Reflektion der gegenwärtigen Verhältnisse steht dazu in einem konträren Verhältnis. Objektiv hat sich die Lebenssituation vieler Menschen in Nord und Süd erheblich verschlechtert, die Schere zwischen Arm und Reich nimmt fast überall auf der Welt zu. Die Situation „struktureller Sünde“ verschärft sich, es gäbe guten Anlass, die Frage nach Nachfolge neu und „radikal“ zu stellen: Worauf hoffen wir, welches Leben leben wir – politisch-privat? Fragen der christlichen Existenz und der politischen Praxis stellen sich, nicht zuletzt herausgefordert durch die Entwicklungen in den sozialen Bewegungen, neu.

Wir werden am Rande eines passenden Ortes, nämlich des nächsten Sozialforums in Deutschland in Cottbus vom 18.-21.10 2007, diese Fragen diskutieren: aus Gründen der (Selbst‑)Verständigung und weil es auch, nicht zuletzt im Gegensatz zur „Unsichtbarkeit“ von ChristInnen, in Bewegungen und in der Gesellschaft doch noch eine nicht unerhebliche Erwartungshaltung an uns gibt: Wo seid ihr, an wessen Seite steht ihr, wenn nicht ihr, wer dann?

Ein workshop am Rande des Sozialforums wird folgende Fragen behandeln:

  • Wie verbinden sich ChristInnen mit den sozialen Bewegungen?
  • Wo sind wir aktiv?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich handlungspraktisch/politisch aus unserem Glauben?
  • Brauchen wir eine sichtbare Präsenz von ChristInnen in unserer Gesellschaft an der Seite der Opfer?
  • Wie radikal muss Christentum heute sein?

Der Workshop findet statt:

am Freitag, den 19. Oktober 2007 von 14.30 bis 18.30 Uhr im Oberstufenzentrum 1 (Sielower Str. / Ecke Nordstr.) in Cottbus, Raum 208.