Wie Behörden sich anmaßen Glauben messen zu wollen

In der Auseinandersetzung um getaufte AsylbewerberInnen insbesondere aus dem Iran, denen bei einer Abschiebung ins Herkunftsland oftmals gravierende Menschenrechtsverletzungen oder gar die Todesstrafe drohen, fährt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen harten Kurs, wie neulich in der Süddeutschen Zeitung (http://www.sueddeutsche.de/politik/asyl-unglaeubige-behoerde-1.3416151) zu lesen war. So habe das BAMF kürzlich den Asylantrag eines getauften Mannes aus dem Iran abgelehnt, mit der Begründung er habe den Glauben nicht aus innerer Überzeugung angenommen oder habe dies zumindest nicht schlüssig darlegen können. Silke Niemeyer, evangelische Pfarrerin aus Lüdinghausen hat ihre Empörung über eine solche Anmaßung seitens staatlicher Behörden in dem folgenden Leserbrief an die SZ zum Ausdruck gebracht. Wir veröffentlichen diesen Brief hier gerne, weil wir hoffen, dass er viele über die skandalöse Praxis des BAMF in dieser Frage informieren und die Kirchen zum Protest gegen eine solche Form staatlicher Einmischung in Glaubensfragen aufrufen kann.

Betr.: Ungläubige Behörde, SZ VOM 13.03.17 – Leserbrief

Aus tiefer innerer Überzeugung?

Ein Glaubensthermometer, das wäre eine feine Sache! Man könnte es den Flüchtlingen, die getauft werden wollen, unter die Zunge schieben und diejenigen ablehnen, die keinen heißen Eifer haben, sondern nur laue Worte. Die so ermittelten Glaubensgrade könnten dann auch in die Taufbescheinigung eingepflegt werden und in das pfarramtliche Zeugnis, welches das Engagement eines Christen in seiner Gemeinde dokumentiert. Ein Glaubensthermometer wäre nicht nur für die Überprüfung des Glaubens von Flüchtlingen eine feine Sache. Wie wünschte ich mir manchmal so ein Gerät in manchen anderen Taufgesprächen. „Sie versprechen Ihr Kind im christlichen Glauben zu erziehen? Dann wollen wir mal schauen, ob aus tiefer innerer Überzeugung oder wegen der vermeintlich größeren Chance auf den Kindergartenplatz.“ Eine grandiose Vorstellung, wie gesagt, doch sollte jemand irgendwann behaupten, ein Glaubensthermometer erfunden zu haben, darf man ihn unbesehen als religiösen Quacksalber zum Schämen in die Ecke schicken. Das BAMF meint jetzt, ganz ohne Geräte ermessen zu können, wie tief jemandes Glaube ist. Staunend liest man, ein getaufter Iraner habe nicht dargelegt, „den christlichen Glauben aus tiefer innerer Überzeugung angenommen zu haben“. Er wirke „eher intellektuell informiert als persönlich berührt“. Ein amtliches Urteil über den persönlichen Glauben eines Menschen hat sich in unseligen Zeiten die heilige Inquisition angemaßt. Solche Glaubensbeurteilung ist keine kleinere Sünde, wenn sie durch säkulare Staatsbedienstete erfolgt. Es geht hier nicht allein um die Frage, wer die Hoheit über den Beurteilungsgegenstand „Glauben“ hat, Staat oder Kirche. Es geht um den Gegenstand und das Beurteilen selbst. Es gibt nämlich keinen Glauben, den man „hat“, als eine Art messbares emotional-spirituelles Seelenreservoir. Es gibt aber sehr wohl eine christliche Praxis, die man zum Beispiel daran ablesen kann, ob jemand sich im Gottesdienst blicken lässt oder nicht, ob er bei Gemeindeveranstaltungen mithilft oder nicht, ob er in der Bibel liest oder nicht, ob er sich für Glaubensgrundlagen und auch deren Widersprüchlichkeit interessiert oder nicht, ob er Nachteile und Risiken für seine Taufe in kauf nimmt oder nicht.

Wenn alle so regelmäßig zum Gottesdienst kämen und sich am Gemeindeleben beteiligten wie die Flüchtlinge, die ich getauft habe, würde unsere Gemeinde aus allen Nähten platze. Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, zuvor einmal zu einem Hausbesuch gerufen worden zu sein, weil jemand sich die Geschichte von Adam und Eva und die Bedeutung der Gottessohnschaft Christi erklären lassen wollte. Er könne sich nicht taufen lassen, wenn er das nicht begreife, sagte mir der junge Mann. Vielleicht wird er am Ende beim BAMF auch nur als intellektuell informiert eingestuft.

Viele Flüchtlinge aus dem Iran möchten sich taufen lassen. Diejenigen, die ich getauft habe, wissen, dass der Preis dafür hoch ist. Zur ersten Einheit meines vorbereitenden Taufkurses gehörte es, die Konsequenzen und Risiken der Taufe ins Bewusstsein zu heben. Manche haben sich mit großer Angst taufen lassen, aber mit noch größerer Entschlossenheit. Sie alle wollten nach ihren Leidenserfahrungen mit der iranischen Ausprägung des Islam keine Muslime mehr sein.

Aber sie können sich kein Leben ohne einen Glauben und eine Religion vorstellen. Sie kennen den Katechismus und die Bibel in etwa so gut wie die meisten Kirchenmitglieder hierzulande, sprich: hier ist manches ausbaufähig. Sie wollen zu einer Glaubensgemeinschaft gehören, in der Gott für Gewissensfreiheit und Nächstenliebe steht und in der man Hilfsbereitschaft erfährt. Als solche erleben sie die Kirchen in Deutschland, viele sprechen sehr dankbar davon. Sie wollen einen Glauben annehmen, zu dem sie ihr mündiges Ja sagen können. Das tun sie, wenn sie öffentlich gefragt werden: „Willst du getauft werden?“

Silke Niemeyer