Voices from Choucha: Fluchtwege öffnen, Flüchtlinge aufnehmen!

Gemeinsamer Appell von Pro Asyl, Medico International, Borderline Europe, Afrique Europe Interact und Welcome to Europe. Bitte weiterverbreiten und um Unterzeichnung sowohl von Organisationen und Gruppen als auch Einzelpersonen bitten!

„Wir wollen hier weg! Europa muss helfen!“ Die Forderungen auf den
Pappschildern der Flüchtlinge und MigrantInnen an der tunesisch-
libyschen Grenze sind eindeutig und zwingend: 5000 Menschen warten
seit Wochen und Monaten unter unerträglichen Bedingungen in dem Lager
des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) in Choucha. Sie alle konnten
dem eskalierenden Bürgerkrieg in Libyen entkommen. Viele waren dort
als ArbeitsmigrantInnen beschäftigt, andere hatten Zuflucht vor den
Kriegs- und Krisenzonen im subsaharischen Afrika gesucht. Überlebende
von gekenterten Flüchtlingsbooten begegnen in Choucha denjenigen, die
sich aus Verzweiflung und allen Gefahren zum Trotz wieder Richtung
libyscher Grenze auf den Weg machen, um die gefährliche Überfahrt
nach Europa zu wagen. Als vier Flüchtlinge aus Eritrea am 21.5. 2011
bei einem Feuer in der improvisierten Zeltstadt sterben, kam es zu
spontanen Protesten und Straßenblockaden. Das tunesische Militär
reagierte mit Tränengas, Anwohner überfielen das Lager. Mindestens
zwei Flüchtlinge wurden erschlagen, viele trugen schwere Verletzungen
davon.

Die Flüchtlinge in Choucha hofften und hoffen auf Hilfe und
Unterstützung durch den UNHCR, der in den letzten Wochen u.a. die
europäischen Staaten mehrfach um die Aufnahme von zumindest 6000
Flüchtlingen aus Libyen gebeten hatte. Vergeblich. Vielmehr wird die
europäische Grenzschutzagentur Frontex verstärkt in Stellung gebracht
und die neuen demokratischen Regierungen in Nordafrika werden mit
Geldangeboten gelockt, damit sie auch in Zukunft die Wachhunde vor
Europas Grenzen bleiben.

Die Situation in Choucha muss im Kontext der Vorverlagerung des
europäischen Grenzregimes nach Nordafrika gesehen werden. In der
Abwehr von Flüchtlingen und Migrantinnen haben die europäischen
Staaten jahrelang schamlos mit den Despoten des Maghreb
zusammengearbeitet, insbesondere mit Ben Ali in Tunesien und Gaddafi
in Libyen. Nun wird zwar der demokratische Wandel begrüßt, aber all
jenen die Hilfe verweigert, die in den tunesischen Flüchtlingslagern
strandeten und für die es kein Zurück mehr gibt.

Die Stimmen von Choucha stehen für das verzweifelte Aufbegehren gegen
eine Politik der flagranten Menschenrechtsverletzungen, wie sie sich
tagtäglich an vielen Brennpunkten der europäischen Außengrenzen
abspielen. Ein Bruch mit dieser Politik ist notwendig, um das Sterben
auf See und in der Wüste zu beenden. Die Demokratiebewegungen in
Nordafrika bieten die Chance für einen Neuanfang. Statt tödlicher
Ausgrenzung und grotesker Bedrohungsszenarien muss Offenheit und
Solidarität die Zukunft des mediterranen Raumes prägen. Es braucht
Brücken statt Mauern für ein neues afrikanisch-europäisches
Verhältnis, damit Europa ein Raum wirklicher Freiheit, allgemeiner
Sicherheit und der gleichen Rechte für Alle wird.

Die Aufnahme von Flüchtlingen aus Choucha in Europa würde in diesem
Sinne ein erstes, nicht nur symbolisches Zeichen setzen. Wir fordern
daher die politisch Verantwortlichen auf europäischer Ebene, in Bund,
Länder und Gemeinden auf,

— Soforthilfmaßnahmen zur Flüchtlingsaufnahme zu ergreifen und die
Flüchtlinge aus Choucha und den anderen vorübergehenden
Flüchtlingslagern in Europa aufzunehmen.

— Humanitäre Unterstützung jener Subsahara-MigrantInnen zu
leisten, welche bereits aus Libyen bzw. Tunesien ausgeflogen wurden.
Z.B. sind allein in Mali seit Beginn des Libyen-Kriegs über 10.000
Flüchtlinge angekommen.

— Die bisherige Abschottungspolitik an den Außengrenzen zugunsten
einer humanen und freizügigen Asyl- und Einwanderungspolitik
aufzugeben, die im Einklang mit den Rechten von Flüchtlingen und
MigrantInnen steht.

— Die demokratischen Aufbrüche in Nordafrika ernsthaft zu
unterstützen und sie als eine Chance zu einer veränderten
Nachbarschaftspolitik zu begreifen.

Pro Asyl, Medico International, Borderline Europe, Afrique-Europe-
Interact, Welcome to Europe
am 31. Mai 2011

Online unterschreiben bei http://www.medico.de/themen/menschenrechte/migration/dokumente/choucha-appell/4021/

Oder mit weiteren Informationen bei http://www.afrique-europe-interact.net/
http://www.afrique-europe-interact.net/?article_id=486&clang=0