Geitzhaus: Artikel über Badiou

Der folgende Beitrag ist im ITP-Rundbrief Nr. 50 (März 2019) erschienen und steht hier als pdf zur Verfügung. Weitere Artikel aus dem Institut für Theologie und Politik (ITP) finden sich unter der Rubrik „Texte“.
Geitzhaus Paulus die Wahrheit und die Idee

Paulus, die Wahrheit und die Idee des Kommunismus

Badiou politisch-theologisch

von Philipp Geitzhaus

Alain Badiou, Philosoph, Mathematiker und Vertreter der „kommunistischen Hypothese“ gehört zu den international bekanntesten KapitalismuskritikerInnen der Gegenwart. Auffällig ist, dass der linke Aktivist Badiou für seine philosophische Argumentation auf den Apostel und Kirchengründer Paulus zurückgreift und damit beide provoziert: ChristInnen wie KommunistInnen.

Paulus

Paulus hat es getan, Lenin auch. Beide haben eine Organisation als Konsequenz eines Aufstands bzw. einer Auferstehung hier, einer Revolution dort, gegründet. So jedenfalls die These des Kommunisten und renommierten Philosophen Alain Badiou.

Der Apostel Paulus fasziniert bekanntermaßen nicht nur ChristInnen und TheologInnen. KünstlerInnen, FilmemacherInnen, politische AktivistInnen haben sich immer wieder von dem Kirchengründer beeindrucken lassen. Auffällig ist jedoch, dass dies auch – oder vielleicht sogar gerade? – in einer Zeit geschieht, in der die Kirchen an Bedeutung verlieren. Es gehört zu den gegenwärtigen Plausibilitäten, dass das Christentum „von gestern“ ist und keine ernsthafte Zukunft hat. Institutionell macht sich das durch Kirchenaustritte und sogenannten Priestermangel bemerkbar. Dazu zählen natürlich auch die zahlreichen Krisen und Skandale.

Und genau in dieser Zeit ist ein verstärktes Interesse an dem Kirchengründer zu vernehmen – nicht von ChristInnen, sondern von linken, marxistischen Intellektuellen. Linke Optionen und Organisationen erleben ja seit einigen Jahren auch nicht gerade einen Höhenflug. Im Gegenteil: Die Ideen von Gleichheit, Freiheit und Solidarität stehen nicht hoch im gesellschaftlichen Kurs und werden von dem, was manche „autoritäre Formierung“ nennen, verdrängt.

Vielleicht ist es gerade die Erkenntnis, dass es institutionell sowie theoretisch gewisse Parallelen von Christentum und linker Bewegung gibt, die einige Intellektuelle zu ihren Überlegungen bewegen. Diesem Anliegen widmen sich seit einigen Jahren Philosophen wie Alain Badiou, Slavoj Žižek, Giorgio Agamben und Jean-Luc Nancy. Die Parallele besteht nicht darin, dass behauptet würde, die kommunistische Bewegung sei im Grunde auch eine Religion. Stattdessen wird festgestellt, dass es sich jeweils um zwei Bewegungen handelt(e), denen es um das „Andere der Welt“ (Nancy) ging und geht.

Der französische Philosoph Alain Badiou erkennt im Apostel Paulus den Prototypen eines bestimmten Denkens. Gemeint ist das Denken der „Einheit in Vielfalt“. Diese Einheit wird bei Paulus durch den Glauben an die Auferstehung Christi gewährleistet und dieser Glaube eröffnet eine gemeinsame (politische) Praxis. Man könnte hier von einem paulinischen Universalismus sprechen. Es ist die Einheit, die Menschen unter einer gemeinsamen Idee (Auferstehung) versammelt und gleichzeitig die Besonderheit der einzelnen Menschen zur Voraussetzung hat. Badiou begreift den paulinischen Universalismus als Gegenteil von irgendeiner „Gleichmacherei“.

Dieser Punkt ist auch heute von großer Bedeutung, wo Individualismus einerseits und Uniformierung andererseits vorherrschend sind. Ist es sinnvoll, dass sich Menschen, Soziale Bewegungen und Gruppen unter einem gemeinsamen Anliegen zusammenschließen? Und falls ja: Was für ein Anliegen könnte das sein und wer könnte sich überhaupt unter einer gemeinsamen Sache wiederfinden? Für den Atheisten Badiou kann das gemeinsame Anliegen natürlich nicht die Auferstehung Christi sein. Andererseits reicht ein beliebiges Anliegen nicht aus. Stattdessen muss es sich um ein wahrheitsfähiges Anliegen bzw. eine wahrheitsfähige Idee handeln.

Die Idee des Kommunismus

Für Badiou ist das mögliche und wahrheitsfähige Gemeinsame im Sinne des paulinischen Universalismus die „Idee des Kommunismus“. Dabei geht es ihm nicht um die Reaktivierung eines bestimmten kommunistischen Partei- oder Bürokratietyps. Es geht noch nicht einmal darum, eine politische Praxis als „kommunistische“ zu deklarieren. Vielmehr betont Badiou den Charakter der Idee der politischen Gleichheit. Gleichheit ist, so Badiou, jenseits bzw. entgegen der Herrschaft des Kapitalismus möglich. Bei Paulus war es das Ereignis der Christusbegegnung, das eine neue subjektive und damit institutionelle Seinsweise im umfangreichen Sinne ermöglicht hatte, bar jeder berechenbaren Möglichkeitsbedingung. Genauso Lenin, der eine unmögliche Revolution durchführen konnte. Unabhängig davon, ob man den Parallelisierungen und Schematisierungen Badious zustimmen möchte, stellt er die zentrale Frage, ob so etwas wie eine unmögliche Möglichkeit denkbar ist. Ist die Realisierung von Gleichheit entgegen aller berechenbaren Wahrscheinlichkeit angesichts kapitalistischer Verhältnisse denkbar, und lohnt es sich deshalb daran festzuhalten?

Politische Theologie

Mit seinen Überlegungen thematisiert Badiou unbewusst eines der zentralen Anliegen der Politischen Theologie. Durchgängig wird von Johann Baptist Metz und anderen an der unmöglichen Möglichkeit des Reiches Gottes und der Rettung der unschuldig Leidenden festgehalten. Ja, es ist gerade diese Hoffnung, die jeden Status quo auf seine Vorläufigkeit verweist und dadurch Denk- und Handlungsspielräume eröffnet. Damit sind selbstverständlich nicht alle Fragen geklärt. Das Gegenteil ist der Fall: Alles wird in Frage gestellt, außer, dass die unmögliche Möglichkeit des Reiches Gottes denkbar ist.

Alain Badiou ist erfreulicherweise unserer Einladung gefolgt und wird am 28. Juni nach Münster kommen, um eine Vorlesung zu „Paulus, die Wahrheit und die Idee des Kommunismus“ zu halten. Am Folgetag schließt sich ein internes Fachkolloquium zur Politischen Theologie und Badious Philosophie an.

Literatur

Alain Badiou: Paulus. Die Begründung des Universalismus, Berlin-Zürich ²2009.

Alain Badiou: Die kommunistische Hypothese, Berlin 2011.

Philipp Geitzhaus: Paulinischer Universalismus. Alain Badiou im Lichte der Politischen Theologie, Münster 2018.

Der Autor:

Philipp Geitzhaus ist Mitarbeiter am Institut für Theologie und Politik und studierte katholische Theologie und Philosophie in Bonn, Madrid und Münster. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Neue Politische Theologie, Befreiungstheologie und politische Philosophie. Zuletzt veröffentlicht: Paulinischer Universalismus. Alain Badiou im Lichte der Politischen Theologie, Münster 2018. Und zusammen mit Michael Ramminger: Gott in Zeit. Zur Kritik der postpolitischen Theologie, Münster 2018.