Die Rückkehr der russischen Gouvernante

oder warum der Mohr nicht ausgedient hat – das zukünftige Haushaltsmodell der Globalisierung

Barbara Imholz

Ich habe meinem Beitrag die Überschrift gegeben „Die Rückkehr der russischen Gouvernante oder warum der Mohr nicht ausgedient hat – das zukünftige Haushaltsmodell der Globalisierung“ und möchte Verknüpfungspunkte zwischen Frauenleben hier bei uns und Frauenleben im Süden oder Osten des Globus aufzeigen. Doch zunächst stehen wir vor einem Problem: Die kapitalistische Gesellschaft der Gegenwart erscheint uns perspektivlos, ohne Alternative und der feministische Anspruch, die Herrschaftsverhältnisse zugunstenvon Frauen verändern zu wollen, wirkt hoffnungslos veraltet.
Wir sollten uns von der allgemeinen Apathie nicht ins Boxhorn jagen lassen und eher nach ihren Ursachen fragen. Gut, es ist nicht die Zeit der großen Entwürfe oder Aufbrüche. Nichtsdestotrotz müssen wir endlich diesen Einlullungsversuchen mit gender-mainstreaming hier und gender da, die den Frauen weis machen wollen, die Zeit der patriarchalen Herrschaftsverhältnisse wäre vorbei, entgegentreten und vielleicht den einen oder anderen kleinen Schritt einfach tun.
Und dazu möchte ich Ihnen 3 Thesen zur Diskussion stellen, die eine Analyse anbieten, warum Globalisierung unser Frauen-Leben verändert und am Ende meine Schlussfolgerungen daraus.

1 These:

Globalisierung ist der Ausdruck für eine Krise.

Diese Krise erfasst selbstverständlich auch das Leben der Frauen und verändert die Bedingungen ihres Daseins fast unbemerkt hinter unseren Rücken einschneidend und unumkehrbar, verändert auch die Struktur des Geschlechterverhältnisses zwischen Männern und Frauen, ist aber in der männlichen Rede in der Politik, in der Wirtschaft, überall ein blinder Fleck. Die Tatsache, dass die Betrachtung der Geschlechterverhältnisse unter einer scheinbar objektiven Brille von „gender“ in den Chefetagen Furore macht, sollte uns stutzig machen.In der männlichen Rede wird so getan, als ob die aktuellen Entwicklungen als Antwort auf die Krise quasi Naturgesetzen folgen müssen, die wir gebetsmühlenartig heruntersagen müssen (Effizienz, Qualität, Wettbewerbsfähigkeit usw.) Doch sie sind von der herrschenden politischen Männer-Klasse politisch gewollt, mit Gesetzen flankiert und dienen Interessen, die zumindest auf den ersten Blick offensichtlich nicht durchschaubar sind.
Frauen müssen sich diesen interessensgeleiteten männlichen Herrschaftsstrategien verweigern.

Was meine ich überhaupt mit „Globalisierung“ als Krisenbezeichnung?
Wenn von Globalisierung die Rede ist, meine ich die Expansion neoliberaler Marktwirtschaft in alle Teile der Erde.
Das Wörtchen „neoliberal“ ist hier wichtig, weil es die Bezeichnung ist für eine spezifische Art und Weise mit der Wirtschaftskrise, derVerwertungskrise des Kapitals, die nunmehr zwanzig Jahre ungelöst ist, strategisch umzugehen. Wir stehen vor folgendem Problem: etwa seit 20 Jahren im Zuge der Technologieentwicklung gibt es eine ungeheure Steigerungder Produktivität oder anders gesprochen: immer weniger Arbeitskraftist in der Lage ungeheuer viele Produkte in kurzer Zeit herzustellen. Die Folgen kennen wir alle: eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit. (Aus diesem Grunde ist es ausgemachter Betrug, wenn uns die Politiker einreden wollen,dass Steuervorteile die Unternehmen anreizen würden, Arbeitskräfte einzustellen. Aus genau diesem Grunde funktioniert es eben nicht. Es istfür die Unternehmen zur Zeit völlig unprofitabel, in Arbeitskräftezu investieren.)

Was passiert aber mit all den Produkten, die auf dem Markt sind? Esgibt eine Überproduktion, so dass neue Märkte gesucht werden. Sind diese Märkte gefunden, folgt ein barbarischer Konkurrenzkampf unter den Unternehmen und in Folge die sich in einem wahnsinnigen Tempo vollziehenden Fusionen der Unternehmen bzw. ihre Bankrotte. Die Gewinne sinken bzw. drohen zu sinken. Auf der Seite der Technologie und Rationalisierungen läßt sich nicht mehr viel herausholen, also ganz klar, muss es jetzt darum gehen, die Löhne zu senken.
Außerdem ist es lukrativer, auf dem Kapitalmarkt Anlagen zu tätigen als Arbeitsplätze zu schaffen. Die an der Börse erzielten Gewinne werden wiederum angelegt, wodurch sich das ungeheure Tempo der Spekulation erklären läßt. Deswegen nennt man diese Entwicklung auch Kasino- oder Turbo-Kapitalismus.

2. These:

Die Globalisierung verschärft die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, indem sie den gesellschaftlichen Anteil von Frauenarbeit,in den Haushalten, in der Kindererziehung, im Pflegebereich, und anderen klassischen Frauendomänen, ich nenne ihn hier „soziale Arbeit“, unsichtbar macht.

Früher gab es den männlichen Ernährer und die Frau war zuhause.Zuhause war das Private, die Fabrik, die Lohnarbeit war das Öffentliche.Diese Arbeitsteilung war volkswirtschaftlich, d.h. der Lohn des Mannes war so berechnet, das er für die gesamte Familie reichen mußte.Der Ort der Frau in der Gesellschaft im Verhältnis zum Mann war wie auf ewig zementiert.
Diese Arbeitsteilung wurde von der Frauenbewegung als zentrales Unterdrückungsmoment erkannt. Außerdem kritisierte frau das Verständnis von Arbeit,das sich auf Lohnarbeit reduzierte als eine verengte männliche Sichtweise,die weibliches Leben und Arbeiten komplett ausblendete. Frauen forderten die Einbeziehung der Hausarbeit und sorgenden Arbeiten als Wirtschaftsfaktor ein.Doch diese Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, und das beginnt sich herauszukristallisieren, zwischen der mittlerweile hochbezahlten männlichen Fachkraft, dem Ernährer der Familie und der, wenn überhaupt, weiblichen Zuverdienerin ist passé. Die Trennung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen wird zunehmend unterhöhlt. Aufgrund des Drucks auf den Arbeitsmarkt, um die Kosten zu senken erleben wir eine steigende Informalisierung der Arbeitsplätze, d.h. eine Ausdehnung ungeschützter und risikoreicher Arbeitsplätze, die über Subunternehmen organisiert werden und damit außerhalb staatlicher Kontrolle liegen. Dies gilt sowohl für Männer als auch für Frauen.

In den Ländern des Südens stützen sich die exportorientiertentransnationalen Konzerne auf die billige Arbeitskraft der jungen Frauen in der Elektronik-, Bekleidungs, Schuhbranche ( in den sog. Freien Produktionszonen, maquilas, sweatshops). Sie sind damit nicht mehr Zuverdienerinnen des Familienernährers, sondern sichern durch ihre Dauerbeschäftigung die Saisonarbeit der männlichen Arbeiter oder sind sowieso als alleinerziehende Mütter auf Lohnarbeit angewiesen.

Der Unterschied zu früher liegt darin, dass es früher die gesellschaftliche Aufgabe und Pflicht des Mannes war, die Familie zu ernähren, auch wenn die Frau „zuverdiente“; heute wird dies von ihr erwartet. Sie kann sich nicht mehr ohne weiteres darauf zurückziehen, „Hausfrau und Mutter“ zu sein und damit ihr Dasein schon legitimiert zu haben. Die Erwartung steht klammheimlich im Raum, arbeiten gehen zu müssen.

Das bedeutet, dass wir erkennen müssen, dass die konventionelle Arbeitsteilung „Haushalt hier – Erwerbsarbeit dort“, die sich natürlich gegenseitig bedingen und ergänzen, die man aber sauber voneinanderabgrenzen konnte, durchlöchert ist. Das hat zur Folge, das in dieser Form globalisierter Ökonomie die Frau nicht mehr eindeutig der Haus und Sorgearbeit zugeordnet wird, sondern als Individuum interessant wird.Von Interesse ist ihre totale Arbeitskraft. Die gesellschaftlich notwendige Arbeit im Haushalt, in der Kindererziehung und Pflege, die Frauen zusätzlich zur Lohnarbeit leisten, und die organisatorisch und zeitlich in Einklang gebracht sein will, verschwindet in der Privatsphäre. D.h. vom ökonomischen Standpunkt wird diese Arbeit unsichtbar gemacht und jeder Anspruch auf Kinderversorgung und soziale Leistungen nicht mehr anerkannt. Sie wird dem männlichen Individuum gleichgesetzt. Viele Frauen können nicht mehr in die Privatssphäre zurück, selbst wenn sie wollten. Gleichzeitig werden ihnen immer mehr soziale Aufgaben aufgebürdet, wenn der Staat sich daraus zurückzieht. Frauen fahren mittlerweile 3 Schichten (die triple shift), zwischen denen sie auch rein zeitlich hin und her springen: Familienarbeit, Lohnarbeit, soziale Arbeit und retour. Die neoliberale männliche Rede befasst sich aber nicht mit nichtmarktförmigen Aktivitäten wie Hausarbeit oder Kinderpflege; sie geht davon aus, dass sie von Frauen einfach gemacht wird oder als Dienstleistung monetarisiert privat/individuell aufgebracht werden muss.
Der Unterschied zu früher ist klar: weil die Lohnkosten systematisch abgesenkt werden sollen, versucht man zu erreichen, dass die formellen Arbeitslöhne nicht mehr so berechnet sind, dass die ganze Familie damit ein durchschnittliches Einkommen hat, sondern dass die Frau mitarbeiten muss. Die Hausarbeit etc. muss die Frau irgendwie zusehen, wie sie die irgendwie auf die Reihe bekommt, denn diese Arbeit bleibt ihr selbstverständlich vorbehalten.
Aber ist dies nicht genau das, was die Frauenbewegung eingefordert hat?

  • Berufstätigkeit der Frauen zu fördern.
  • Ganztagsbetreuung für Kinder, damit Muttersein und Beruf zu vereinbaren ist.
  • Flexible Arbeitszeiten, damit sie mit den Anforderungen von Familienarbeit vereinbar ist.

Sollten wir nicht ganz zufrieden sein?Auf keinen Fall, und zwar weil es männlichen Herrschaftsinteressen dient. Allerdings ist es genau an dieser Stelle widersprüchlich und da müssen wir genau hingucken. Genau hier liegt das Geheimnis, warum ein großer Teil von Frauen dem zustimmt, was zur Zeit passiert, aber auch die Erklärung für das leise Unbehagen, das viele Frauen zur Zeit verspüren, weil die ehemals fortschrittlichen Forderungen der Frauenbewegung sich unter der Hand in repressive Instrumente neoliberaler Deregulierung verwandelt haben und die Arbeitsteilung zementieren, statt lockern:
Wir sind heute alle Zeuginnen einer Entwertung sozialer Arbeit, die und das müssen wir konsequent vertreten und einfordern, ungeheure Bedeutung hat für ein gutes Leben und den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Neoliberale männliche Rede ignoriert dies, weil es darum geht, die Kosten zu senken und die Profite angesichts der Krise zu halten. (1995 UNDP-Bericht: 2/3 der geleisteten Arbeitsstunden für unbezahlte Arbeit weltweit). Neoliberale Globalisierung verschiebt die real existierenden gesellschaftlichen sozialen Kosten von der Marktökonomie in die Haushaltssphäre. Gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen wird damit auf keine Weise in Frage gestellt.

Damit komme ich zur dritten und letzten These

3. These:

Die Globalisierung schafft zunehmende Ungleichheit zwischen weißen mittelständischen Frauen in den reichen Ländern und den „schwarzen“Frauen des Südens durch die Integration in den Arbeitsmarkt. (daher der Titel)

Die Globalisierung und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes hat im Haushaltsbereich zwei Klassen von Frauen geschaffen: die Herrin und die Magd (wie Brigitte Young eine Rede 1999 titulierte). Einerseits haben wir die professionelle weiße mittelständische Frau und andererseits die Migrantin aus dem Süden oder Osten, die es der ersteren überhaupt ermöglicht, angesichts der für selbstverständlich deklarierten Erledigung der Hausarbeit und Kindererziehung, ihren Job zu machen. Migrantinnenwerden damit zum unverzichtbaren Teil einer Unterstützungsstruktur,die hiesigen Frauen berufliche Karrieren erlauben. Damit entsteht ein unsichtbares Band zwischen der wachsenden Berufstätigkeit von Frauen und der Funktion von Migrantinnen auf diesem Arbeitsmarkt. Es gibt tatsächlich eine neue internationale Arbeitsteilung im Haushalt. Die bezahlte Arbeit außerhalb des Hauses ist dabei höher bewertet als die „bezahlte“ Hausarbeit,d.h. beide arbeitende Frauen sind mitnichten dadurch gleichgestellt, dass sie arbeiten. Wichtig zu registrieren ist hier, dass es sich nicht um ein „Frauenproblem“ handelt, sondern ein strukturelles Problem kapitalistischer Gesellschaften. Solange Kinderversorgung privatisiert bleibt, sind berufstätige Frauen dazu gezwungen, das Hausangestelltensystem aus dem letzten Jahrhundert neu ins Leben zu rufen (die russische Gouvernante in den gutbürgerlichen Hauhalten vor dem 1.Weltkrieg).
Ist das dann die Modernität der Globalisierung?… Dass ich nicht lache!

Schlussfolgerungen

All diese Probleme sind offen und ungelöst. Wir stehen davor wie das Kaninchen vor der Schlange und drehen uns unendlich im selben Trott weiter wie im Hamsterrad. Welche Schlüsse können wir daraus ziehen?

  1. Frauen sollten wieder deutlicher dazu übergehen, das Geschlechterverhältnis als Herrschaftsverhältnis anzugreifen, und meiner Meinung nach verdient der Begriff Feminismus eine Renaissance. Das scheint mir hilfreicher zu sein als der Begriff „gender“, mit dem mittlerweile vorgeblich herrschaftsneutrale Verhältnisse vorgegaukelt werden sollen.
  2. Wir sollten uns der neoliberalen Rede schlicht und ergreifend verweigern und die Werte, die wir bestimmen, die wir für das Leben, für das Zusammenleben wichtig finden, entschlossen vertreten. Also diesem Effizienzgerede die Maske seiner männlichen Interessenorientierung vom Gesicht reißen. Mit uns nicht!
  3. Wir sollten uns endlich vom Mythos „Vollbeschäftigung“ verabschieden, als ob Frauen nicht ohnehin vollbeschäftigt sind. So wie man es früher verstand, wird es sie nie mehr geben. Wir brauchen daher eine öffentliche Diskussion a) um die Bedeutung und Neuorganisation von Erwerbsarbeit schlechthin und b) um eine radikal andere Aufteilung aller geleisteten Arbeit; Erwerbsarbeit und Hausarbeit müssen anders miteinander verknüpft werden, d.h.wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, sondern wollen den ganzen Kuchen neu aufteilen.
  4. Wir wollen globale Verteilungsgerechtigkeit. Wir wollen unser Leben, unser berufliches Fortkommen nicht auf dem Rücken anderer Frauen austragen. Wir wollen solidarisch sein mit Migrantinnen, mit Frauen im Süden, denen keine Wahl bleibt als unter ausbeuterischen Bedingungen ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
  5. Und zum Schluss: schielen wir nicht auf die Massen, die uns nicht folgen, sondern gehen wir zusammen, mit denen, die sich hier versammelt haben die notwendigen Schritte, suchen wir gemeinsam nach Widerstandsformen- und aktionen.

Machen wir uns auf den Weg! Vamos caminando!