Kirchen und Chemnitz – aufstehen, nicht nur beten

1Nach Chemnitz wird allerorten auf die AD und ihre Horden geschimpft. Das ist gut so. Aber das wars dann eigentlich auch schon. Denn gleichzeitig wird an einer Interpretation der gesellschaftlichen Verhältnisse gestrickt, die an der Wirklichkeit komplett vorbei geht.

Die Polizei sei überfordert gewesen und der Rechtsstaat sei in Gefahr wie dazumal in Weimar in der Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts zerrieben zu werden. Das stimmte schon damals nicht und ist heute noch falscher. Zur Erinnerung: die unrechtmäßige Festsetzung des ZDF-Teams wurde durch einen LKA-Angestellten provoziert, der Bremer Abgeordnete, der unter anderem den Haftbefehl von Chemnitz veröffentlichte, ist Bundespolizist, die AfD wurde im letzten Jahr von Presse und Politik hof- und gesprächsfähig gemacht. Die landläufige Überzeugung in den Staatsapparaten, in der Politik und, ja auch in den Kirchen, ist doch: Rechtsentwicklungen sind überzogener Ausdruck ernstzunehmender Sorgen, linke Überzeugungen antidemokratisch und antifreiheitlich. Deshalb lässt man die Rechten auch ziehen, auf die Linken prügelt man ein. Das hat Tradition in der BRD.

Deshalb war man ja auch auf dem Katholikentag im Mai diesen Jahres in Münster der Meinung, man müsse mit dem gewählten Vertreter der AfD reden, und lud ihn zum Podium. Gründlicher kann sich eine Entscheidung kaum desavouieren. Aber auf Einsicht wird man kaum hoffen dürfen.

2Ein hervorragendes Beispiel dafür ist Prälat Karl Jüsten vom katholischen Büro in Berlin, Cheflobbyist der katholischen Kirche bei der Bundesregierung: Nach den Ereignissen in Chemnitz forderte er zu „mehr Zivilcourage auf, und denen die rote Karte zu zeigen, die mit Hass und Gewalt gegen unsere Mitmenschen vorgehen“. Gleichzeitig sollen wir aber auch die Gräben mit Menschen nicht weiter vertiefen, „die anderer Meinung sind als wir“. Ja, was denn nun, Herr Prälat? Übrigens ist Jüsten derjenige, der letzte Woche völlig wahrheitsfrei behauptete, die Kirchenaslybewegung würde zu großen Teilen die Abmachungen mit dem Staat nicht einhalten. Statt die Kirchenasylbewegung zu stärken, ist er ihnen hiermit in der Öffentlichkeit in den Rücken gefallen. Wovon, zum Teufel, redet dieser Mann, wenn er zu Zivilcourage auffordert? (Kleiner theologischer Exkurs: zum Teufel = diabolus = weg mit den Verwirrern). Doppelzüngiger gehts wohl kaum mehr.

Ja, es hat Kirchen in Chemnitz gegeben, die ihre Tore geöffnet haben, und GegendemonstrantInnen eingelassen haben, die vor dem Mob geflüchtet sind. Gott sei Dank ist der Antiklerikalismus der AfD bisher nur theoretisch, sonst wären die Menschen auch dort nicht sicher gewesen. Aber was sonst noch aus den höheren Etagen der bundesrepublikanischen großen Kirchen gekommen ist, war eher mager.

„Als die Demonstration in Chemnitz eskalierte, haben die Kirchen ein Friedensgebet abgehalten“, titelte das Domradio, und Probst Rehor aus Chemnitz sagte: „Wir versuchen momentan die Menschen zu beruhigen, zu beten und zu segnen.“ und auf die Nachfrage: Mehr geht nicht?“ sagte er: „Wir sind wirklich relativ ratlos im Moment. Uns Christen bleibt, den Menschen zu erklären, dass sie von Gott geliebt sind und sich deshalb auch nach Möglichkeit gegenseitig zu lieben.“

Lieber Probst Rehor, wir würden mal gerne mit Ihnen darüber diskutieren, ob man nach Dietrich Bonhoeffer wirklich noch beten darf, ohne Widerstand mit Seele UND Leib geleistet zu haben! Also, besser als in dieser Situation sich in den Kirchen betend zu verstecken, wäre es gewesen, gemeinsam mit den anderen für Demokratie und Freiheit auf der Straße einzustehen. Auch auf der Straße kann man beten: laut, vernehmlich und keinen Meter zurückweichend vor den Rechten! Aber wir hoffen, dass nicht alle ChristInnen nur gebetet haben. Nein wir wissen, es gibt viele, die sich trauen: gegen den Staat, gegen das BAMF, gegen die Polizei und gegen die Prälaten. Und vielleicht gewinnen die Kirchen dann auch irgendwann die Einsicht, dass es nicht darum geht, mit der Politik das „Gewaltmonopol“ des Staates zu verteidigen, sondern mit denen zusammen aufzustehen und zu handeln, die sich für Menschenrechte und gegen die Faschisierung in Politik, Polizei und sonstwo engagieren.