Camilo Torres Restrepo

Gestern vor fünfzig Jahren wurde der kolumbianische Priester und Soziologe Camilo Torres in Kolumbien bei einem Gefecht zwischen der kolumbianischen Armee und der Nationalen Befreiungsarmee

Von Hernando Sanchez - Albúm Familia Zabala, GFDL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6708369
Von Hernando Sanchez – Albúm Familia Zabala, GFDL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6708369

ELN getötet. Er gehörte zu einer Generation junger ChristInnen, die ab Mitte der sechziger Jahre begriffen hatten, dass das Christentum in seinem Ursprung einen anti-imperialen, Herrschaft und Unterdrückung zurückweisenden Kern hat. Er gehörte zu denen, die begriffen hatten, dass sich dieser Kampf in die Teilnahme an gesellschaftlichen Kämpfen übersetzen musste. 1965 entschloss er sich deshalb, sich der Nationalen Befreiungsarmee anzuschließen. Camilo Torres war Befreiungstheologie, bevor es die Befreiungstheologie gab.

Seine sozialrevolutionären Ideen inspirierten auch die

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Brigada Laura Moya. Casa de Memoria José Domingo Cañas 1367 (ex-cuartel Ollagüe de la DINA)

Bewegung der“ Cristianos por el socialismo“ in Chile 1971 – 1973, die einen wichtigen Anteil an der Theologie der Befreiung hatten; seine Ideen und sein Gedächtnis sind bis heute wichtiger Teil der lateinamerikanischen Linken: „Es ist nicht sicher, dass Du tot bist, Camilo! – Sicher ist, dass Du weiterlebst, Camilo“ sagen die Wandmalbrigaden MRP in Chile, die im Andenken an Torres einige Murales produzierten.
Dazu gehört auch das Wandbild der Brigade Laura Moya an einem ehemaligen Gefängnis des chilenischen Geheimdienstes DINA, das an Antonio Llidó erinnert, einen Priester, der nach einem knappen Jahr Illegalität nach dem Putsch in Chile 1973 vermutlich ermordet wurde. Antonio Llído war Mitglied des MIR, der Bewegung der revolutionären Linken und gehört zu denen, dessen Leichnam bis heute nicht aufgefunden wurde.

Hat das alles noch Bedeutung?

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Brigadas Malatesta. Santiago de Chile 2016

Es gibt Menschen, die sich fragen, ob die Befreiungstheologie heute noch aktuell ist. Nun, man kann diese Frage mit dem moralischen Imperativ beantworten, dass diese Theologie, solange es noch Arme, gibt, immer aktuell sein wird. Und das ist natürlich auch richtig. Viel entscheidender aber ist, dass die Einsichten der Befreiungstheologie geradezu aktueller und brisanter werden. Und da ist es dann auch egal, ob die Bewegung eine großartige Konjunktur hat, oder nicht. Zu diesen Einsichten gehört, dass das Christentum in seinem Ursprung eine herrschaftskritische, Autonomie und Egalität fordernde Bewegung ist und ihre wie auch immer geartete Korrumpierung als herrschaftsstabilisierend, begleitend oder akzeptierend zurückzuweisen ist.
Dazu gehört auch ihre Einsicht in die Notwendigkeit der Vermittlung von christlicher und gesellschaftlicher, politischer Praxis, oder der notwendigen Vermittlung von Theologie und Sozialwissenschaften. Hier gibt es heutzutage eine weitverbreitete intellektuelle Faulheit, die sich den neuesten Modeströmungen sozialwissenschaftlicher Theorien hingibt, ohne deren Konsistenz zu prüfen. Camilo Torres war auch ein begnadeter Soziologe, dessen Forschungen bis heute relevant sind. Die intellektuelle Faulheit lässt sich leider Gottes auch deshalb selten irritieren, weil die gesellschaftliche Praxis, die sich dahinter verbirgt, ausgesprochen dürftig ist: zugegeben ein dialektischer Prozess. Aber selbst dieses Wort ist für viele heute schon eine Remineszenz an vergangene Zeiten, mit dessen Abwertung man sich die gesellschaftlichen Kämpfe als auch die Herausforderungen des eigenen Glaubens vom Hals halten kann.

Rein ins Gefecht

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Brigada Laura Moya. Santiago de Chile 2016

Die eigentliche befreiungstheologische Herausforderung besteht heute nach wie vor darin, sich in die theoretischen und praktischen Kämpfe um Autonomie und Gleichheit zu begeben, seine journalistische, wissenschaftliche oder sonst wie geartete Elfenbeinposition aufzugeben und aus der Position des gemeinsamen Kampfes zu denken und zu handeln. Das ist heute nicht immer ganz einfach, denn Auseinandersetzungen und Kämpfe gibt es zuhauf: ob Klima oder Migration, ob soziale Frage und Kapitalismus, Rassismus und Sexismus, Krieg und Frieden. Aber wer ob dieser Fragen resigniert, oder sie gar theoretisch als unhintergehbare Komplexität der Welt verdoppelt und verhimmelt, hat vor der befreiungstheologischen Herausforderung schon resigniert.

Zwei Dokumente

Bogotá 2016

„In den Ursprüngen des Christentums wurde das Gesetz des Imperiums vom Gesetz der Nächstenliebe unterminiert. Im Einklang mit dem Vorrang dieses Prinzips zu leben, führt zum Martyrium, ins Gefängnis und zur Verfolgung der Gemeinschaften, die die Götzen bekämpfen. Auch heute geschieht das Gleiche mit denen, die es wagen, sich mit dem Gesetz des Marktes anzulegen und Gemeinschaften des Buen Vivir aufzubauen. In Kontinuität mit dieser subversiven Erinnerung tauchte in Kolumbien die Figur von Camilo Torres Restrepo auf. Er forderte den Vorrang des Lebens vor dem Kapital … und das Kapital ermordete ihn. Sein Evangelium der tätigen Liebe lebt in denen weiter, die gegen das Imperium des Marktes und seine theologisch-spirituelle Legitimation kämpfen.“
Bogotá, 15 de febrero de 2016
Fernando Torres Millán
Coordinador General de KairEd y Coordinador del proyecto Shemá

Manifest der Jungen Kirche

UND Warum sind wir hier?

Wir haben uns hier in der Kathedrale, UNSEREM HAUS versammelt:

  • bewegt von großer Zärtlichkeit gegenüber unserer Kirche;
    weil wir Zeichen und Heim der christlichen Familie sein wollen;
  • weil wir uns mit den Arbeitern, den Studierenden und den Profesionales/Fachkräften vereinen wollen;
  • getrieben von der Wahrheit des Evangeliums und nicht von partikularen Interessen.
  • Wir wollen umkehren, um eine Kirche des Volkes zu sein, wie im Evangelium, seine Armut, seine Schlichtheit, und seine Kämpfe leben.

Deshalb sagen wir:

  • NEIN zu einer Kirche, die in den sozialen Strukturen versklavt ist;
  • JA zu einer freien Kirche, die den Menschen dient;
  • NEIN zu einer Kirche, die in die Macht und den Reichtum verstrickt ist;
    JA zu einer Kirche, die es wegen ihres Glaubens an Jesuschristus und an den Menschen wagt, arm zu sein;
  • NEIN zu einer hierarchischen Struktur, die dem christlichen Volk aufgedrückt ist;
  • JA zu Pastoren, die aus dem Volk geboren sind und mit ihm auf der Suche sind;
  • NEIN zu einer Kirche, die Angst hat, sich der Geschichte entgegenzustellen;
  • JA zu einer mutigen Kirche, die sich dem Kampf für die wahrhafte Befreiung des Volkes verpflichtet.
    Wir wollen eine Kirche, die der Wahrheit des Evangeliums treu ist

Wir klagen an:

  • Die Gewalt, die von den Reichen und Mächtigen hervorgerufen wird. Weil „jeder Eingriff in ein Recht eine Form der Gewalt ist.“
  • Die Ausbeutung des Menschen durch das System des Profits;
  • Den internationalen Imperialismus des Geldes;
  • Den Betrug einer falschen Demokratie, die von einigen wenigen geleitet wird;
  • Die Unterwerfung des Bewußtseins durch die Monopole, Eigentümer der Informationsmedien;
  • Die rassische, kulturelle und ökonomische Segregation;
  • Die Instrumentalisierung der Bildung zugunsten der führenden Klassen;
  • Die Teilung des Volkes, um seine Beherrschung zu sakralisieren;

Das heißt:

 

  • NEIN zur herrschenden Unordnung
  • JA zum Kampf für eine neue Gesellschaft, die die menschliche Person würdigt, und
    WO DIE LIEBE MÖGLICH WIRD

Santiago, August 1968