Der Papst in Brasilien – ein Fazit

Von Michael Ramminger

Wo sind die Massen

Jetzt, nach dem Ende der Reise Papst Benedikts nach Brasilien, lässt sich ein Fazit ziehen: Seine schon bei der Verurteilung des Befreiungstheologen Sobrinos deutlich gewordene Grundangst um die Zukunft der Institution katholische Kirche hat in Brasilien sowohl handfeste Nahrung erhalten als auch wiedereinmal die Ausweglosigkeit seiner Rettungsversuche bestätigt: In das Fußball-Stadion in São Paulo kamen geradeeinmal 40.000 statt der erwarteten 70.000 Besucher und am vergangenen Sonntag besuchten in Aparecida nur 150.000 statt der erhofften 1 Million Gläubigen die Messe.

Nach allgemeiner Einschätzung ist die „Evangelisation und Verkündigung“ das Hauptthema des Papstes gewesen. Damit nahm er das Thema der gerade angelaufenen V. Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopats vorweg.

Verkündigung und Conquista

Wie er die Verkündigung allerdings versteht, hat er ebenfalls klargemacht: Dies wiederholte er auch bei der feierlichen Eröffnung der Generalversammlung: Die erste „Verkündigung“ (Eroberung!) wäre keine „Entfremdung der vorkolumbianischen Kultur“ oder „Besetzung durch oder die Auferlegung von einer fremden Kultur“ gewesen. Indirekt bezeichnete er Inkulturation als Versuch, „um den vorkolumbianischen
Religionen neues Leben einzuhauchen, sie von Christus und der universellen Kirche zu entfernen …“ Sie sei kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt.“

Zurecht verwahrten sich verschiedene Indigena-Organisationen gegen diese Interpretation der Conquista: „Viele Menschen nahmen das Christentum an, aber es wurde gewaltsam durchgesetzt“, so Marcio Meira, Vorsitzender einer Nationalen Stiftung für Ureinwohner in Brasilien. „Seine Äußerungen sind lächerlich“, erklärte Roberto Olivares, Vorsitzender eines Interessenverbands der Ureinwohner im mexikanischen Oaxaca, und der Direktor der Organisation der Ureinwohner Kolumbiens (ONIC), Luis Evelis Andrade, erklärte: „Wir können es nicht akzeptieren, dass die Kirche ihre Verantwortung für die Vernichtung unserer Kultur und unserer Identität nicht anerkennt.“

Verkündigung: ein hoffnungsloser Fall

Verkündigung in den traditionellen Vorstellungen der katholischen Kirche: D.h. wohl klassische Katechese mit der Liturgie im Zentrum unter Vorsitz von geweihten Priestern und ein überkommenes Familienmodell, was natürlich legalisierte Schwangerschaftsabbrüche ausschließt. Dabei ist natürlich eine kluge Nutzung der Massenmedien als sinnvoll zu erachten. Ob der Papst hier davon träumt, von den neopentecostalen Pfingstkirchen lernen zu können, vor denen er so eindrücklich warnt, ohne wirklich zu begreifen, weshalb die so viel Gefolgschaft finden? Die Gefahren sind jedenfalls umstandslos im Sinne wertkonservativer Verfallslitaneien ausgemacht: „Säkularismus, Hedonismus, Willkür, Proselytismus zahlreicher Sekten, Naturreligionen oder neue pseudo-religiöse Bewegungen“.

Weichgespülte Option für die Armen

Und natürlich darf in einem der ärmsten Länder auch eine „weichgespülte Option für die Armen“ nicht fehlen. Globalisierung hat ihre Nach- aber auch Vorteile: „In der heutigen Welt sehen wir das Phänomen der Globalisierung wie ein Geflecht von weltweiten Beziehungen. Unter verschiedenen Gesichtspunkten ist dies auch ein Verdienst der großen Familie der Menschheit und ein Signal ihrer tiefen Einheit.“

Sie bringt aber auch soziale Unterschiede und ein Anwachsen der Armut –auch im Norden mit sich. Deshalb müsse sich die Kirche sozial engagieren – und gleichzeitig nicht vergessen, dass der „Marxismus“ nur ökonomische, soziale und geistige Verwüstung mit sich gebracht habe. Ein deutliches Signal an die Befreiungstheologie! Schade, dass der Papst seine Einsichten nicht zu Ende denkt, die er doch formuliert hat: „Gerade in einer … materialistischen Sicht liege der grundlegende Irrtum der vorherrschenden Tendenzen des vergangenen Jahrhunderts: „ein destruktiver Irrtum, wie die Ergebnisse sowohl des marxistischen als auch des kapitalistischen Systems zeigen. Sie legen ein falsches Wirklichkeitskonzept vor, indem sie die grundlegende und darum entscheidende Realität ausklammern: nämlich Gott.“ Sollte dann nicht endlich auch das Ende des Kapitalismus ausgerufen werden? Aber Exkommunikation wird selbstverständlich nur vermeintlichen „Abtreibungsbefürworten“ angedroht.

Einmal zu Ende denken …

Die Trennung von Politik und Religion ist selbstverständlicher Teil seines Kirchenverständnisses, deshalb warnt er auch vor dem „aufkommenden“ Populismus“ in Lateinamerika – und meint damit wohl die antineoliberalen Regierungen in Venezuela, Bolivien etc. Spätestens bei seinem Verständnis des Verhältnisses von Politik und Religion werden die weltfremden Utopien des deutschen Denker-Papstes deutlich: Eine Gesellschaft, die sich über bürgerliche Wert- und Moralvorstellungen definiert, in der Kirche einen festen Grund dafür findet und die ihrerseits nicht nur den ideologischen, sondern auch den sozial(-politischen) Kitt dafür liefert.

Sagen wir freundlich: Soweit ist es mit dem Denken bei ihm doch nicht her, wie immer unterstellt wird. Sonst würde er urteilen müssen, dass genau diese Utopie fester Bestandteil des Kapitalismus ist, den er doch eigentlich für gescheitert erklärt. Aber insgeheim siegt eben doch die ideologische Übereinstimmung mit den Grundfesten dieser Welt über das kritische Denken – und über die Hoffnung auf das Reich Gottes. So aber ist die Kirche nicht zu retten. Wir werden in den nächsten Wochen sehen, wie sich der lateinamerikanische Episkopat die Zukunft vorstellt.